II. Homerecording von den Anfängen bis heute
"Während die Ereignisse in der technischen Entwicklung sich förmlich überschlugen, die professionellen Tonstudios eine stetige Steigerung der technischen Perfektion erfuhren, bildete sich seit den letzten 15 Jahren eine steigende Nachfrage nach Mehrspur-Technik für den Amateur- und semiprofessionellen Bereich. ... Diese stetige Nachfrage nach 'bezahlbarem' Studioequipment spornte die Industrie an, die zu immer günstigeren Preisen besseres Aufnahme-Equipment auf den Markt brachte. Diese Entwicklung hat heute einen Stand erreicht, der es jedem Normalsterblichen erlaubt, zu bezahlbaren Preisen eigene Aufnahmen zu machen, und das in einer beachtlich guten Qualität.(71)
M.E. ist grundsätzlich festzustellen, daß sämtliche
Entwicklungen des Homerecording-Equipments ihren Ursprung
in der professionellen Tonstudiotechnik haben
und in der Regel vereinfachte und damit verbilligte
Versionen ihrer Vorbilder darstellen. Doch erst nachdem sowohl der Musikfachwelt als auch der breiten Öffentlichkeit die ersten Klangergebnisse dieser neuen technischen Errungenschaften hörbar bekannt gemacht worden waren (z.B. auf Schallplatten), ließ sich eine Nachfrage der semiprofessionellen- und der Amateurszene nach solchen Geräten als absehbar einschätzen. Die Industrie brachte nun 'abgespeckte' Versionen der professionellen Geräte auf den Markt, die in mehrfacher Hinsicht für den privaten Nutzer interessant waren:(74)
Die Geschichte des Homerecording läßt sich m.E. in 4 Zeitabschnitte unterteilen:
Jede dieser Phasen ist hauptsächlich durch eine besondere speichertechnische Neuentwicklung auf dem Heimstudiosektor eingeleitet worden:
In den folgenden Darstellungen der einzelnen Homerecording-Phasen soll aufgezeigt werden, welche jeweils neuen Aufnahme- und Klangbearbeitungsmöglichkeiten entstanden und welche Anwendungsbereiche sich für den privaten Nutzer ergaben. Parallel hierzu erfolgt eine Betrachtung der jeweiligen Musikinstrumente, die im Heimstudio zur Anwendung kommen konnten.(76)
Die erste Möglichkeit zu privaten Tonaufzeichnungen war Anfang der 50er Jahre gegeben, als handliche und erschwingliche Spulentonbandgeräte auf den Markt kamen, in Deutschland z.B. 'Tonbandkoffer' von GRUNDIG und TELEFUNKEN.(77,78) Das Bandmaterial hierfür war nur 1/4" breit und auf Spulen von gewöhnlich 15 oder 18 cm Durchmesser erhältlich. Die Heimgeräte liefen im Gegensatz zu den Studiomaschinen mit wesentlich langsameren Laufgeschwindigkeiten von 19, 9.5 oder 4,75 cm/sec (Studio: 76 oder 38 cm/sec) und arbeiteten anfangs ausschließlich in Mono: Ein einspaltiger Tonkopf zeichnete Signale auf einer Hälfte des Bandes auf ('Halbspur'). Nach einfachem Durchlauf und Seitenwechsel der Spule konnte in Gegenrichtung auch die andere Bandhälfte bespielt werden (1-Kanal-Technik).(79) Um 1960 führte die Entwicklung mit zunehmender technischer Verfeinerung zu den Zweispur-Vollstereo- und den Vierspur-Tonbandgeräten.(80) Es eröffnete sich jetzt die Möglichkeit, Stereoaufnahmen herzustellen, da die dazu benötigten 2 Spuren in einer Laufrichtung, also zu einem Aufnahmevorgang, zur Verfügung standen (2-Kanal-Technik). Beim 'Viertelspur-Verfahren' ergab sich eine doppelte Nutzlänge der Spulen, da ein Doppeltonkopf das Band in 4 Spuren unterteilte, jeweils 2 in einer Laufrichtung.(81) Die Heim-Spulengeräte wandelten sich mehr und mehr zu hochwertigen Spezialgeräten. "Die senkrechte Anordnung, eingebaute Messinstrumente, Flachbahnregler, Metallspulen usw. geben ihnen schon äußerlich das Ansehen professioneller Technik. Viele Umschalt- und Regelmöglichkeiten erfüllen alle Wünsche des passionierten Hobby-Tonmeisters."(82) Gute Heim-Tonbandgeräte damaliger Zeit erreichten zwar bei höchster Laufgeschwindigkeit in Verbindung mit 'Low- Noise'-Bändern einen erstaunlichen Frequenzgang bis zu 17 kHz, doch konnte das Dynamik- und Rauschverhalten der Aufnahmen nicht darüber hinwegtäuschen, daß ein deutlicher Unterschied zur Studioqualität bestand.(83)
Grundsätzlich die Möglichkeiten des 1-Kanal-Studios.
(Ziele und Aufgaben des Tonbandamateurs in den 50/60er Jahren)
Die Präsenz der magnetischen Informationsspeicherung
machte sich in den 50er Jahren nicht nur durch die
großen Medien wie das Fernsehen, den Rundfunk oder die
Schallplatte bemerkbar, sondern auch durch "... alltägliche
und sympathische Kleinigkeiten, wie die automatische Zugansage,
die komplett konservierte Tonbildschau, den während der Behandlung gesprochenen ärztlichen Bericht, neue Methoden des Lernens, bislang
unbekannte musikalische Klanggebilde. Tonbandamateure nehmen
an dieser beispielhaften technischen Entwicklung lebhaften Anteil und
interessieren sich für alles, was in ihr eigenes Erleben und Gestalten eingreift."(89)
Viele der damaligen Tonbandamateure gingen darüber hinaus, das Tonbandgerät nur zu Konservierungs- und Informationszwecken zu nutzen und entdeckten bislang unbekannte Möglichkeiten, die ihnen die Magnettontechnik eröffnete:(92) Geräusche aus der akustischen Umgebung konnten als "Großaufnahme"(93) isoliert hörbar gemacht werden. Vogelstimmen und Straßengeräusche - vom 'Tonjäger' per transportablem Batterie-Gerät 'eingefangen' -, knarrende Türen, Geräusche von Küchengeräten usw. boten sich reichhaltig als aufzunehmendes Klangmaterial an. Schon allein das beliebig wiederholbare Anhören dieser akustisch konservierten Klangstrukturen an einem vom Originalgeschehen entrückten Ort wie dem eigenen Wohnzimmer besaß eine zuvor nie gekannte Qualität. Der französische Komponist und Schriftsteller Pierre Schaeffer beschreibt in einem Interview seine frühen Erfahrungen mit dem Phänomen, den einfachsten Klang als reduziertes, abgelöstes Hörereignis (optimal erfahrbar mittels Endlosbandschleife) kontemplativ als Objekt wahrnehmen zu können, "... so wie man ein visuelles Objekt wahrnimmt, ein Gemälde oder einen Topf oder eine Blume oder eine Wolke ... . Solche Eindrücke kann der Wahrnehmende untersuchen, er kann - wie Husserl in der Phänomenologie der Wahrnehmung so gut beschreibt - unablässig zwischen dem Subjekt und dem Objekt hin- und herspielen, er kann alle Entwürfe, alle Umrisse, alle aufeinander folgenden flüchtigen Eindrücke betrachten, die das Objekt ihm mitteilt, und am Ende, nach oftmaligem Hinsehen, totalisiert er, er totalisiert das, was er als ein visuelles Objekt bezeichnet."(94,95) Das Gebiet der 'Tonbandwelt der Geräusche', auf dem Pierre Schaeffer schon seit 1948 Pionierarbeit geleistet hatte ('musique concrete')(96), wurde nun auch durch Tonbandamateure praktisch erfahrbar. Sie verwerteten von ihnen aufgenommenes Klangmaterial zu Geräuschkompositionen(97) und -imitationen oder zu Musik- und Geräuschcollagen phantasievollster Machart, vornehmlich:(98) * zur Nachvertonung von Film- und Diavorträgen * bei der Herstellung von (zu jener Zeit sehr beliebten) Hörspielen.
Durch mögliche Band- und Klangmanipulationen wie
'Cuttern', Filtern einzelner Frequenzbereiche, Verändern
der Bandgeschwindigkeit oder den Einsatz simpler Echo-
und Halleffekte(99) stand den Homerecordisten auch das
Gebiet der "Realisation"(100) offen, das durch in der
Avantgarde-Szene prominente Vertreter wie Karlheinz
Stockhausen(101,102), John Cage(103) und
Pierre Schaeffer(104) schon bekannt geworden war. Homerecordisten, die im Besitz eines 2-kanaligen Ton- bandgerätes waren, konnten ihren Aufnahmen per Stereo- Aufnahmetechnik "die akustische Perspektive"(108) hinzufügen. Die Räumlichkeit, die Transparenz und damit die Klangtreue der Wiedergabe zum Original kam insbesondere bei Konzertmitschnitten zum Tragen. "Doch der Fortschritt zum Zweikanalsystem bedeutet nicht : Stereophonie um jeden Preis!"(109) Verfahrensweisen wie 'Multiplay' und 'Synchroplay' forderten gerade die musikalisch Aktiven unter den Tonbandamateuren heraus, "Trickmusik"(110) zu machen. Joachim Staab hierzu (1965): "Unüberwindlich schwer ist es ... nicht, denn sonst könnten nicht Tausende junger Musiker im Playback- und Multiplaybackverfahren nacheinander diverse Instrumente spielen und dazu singen, wobei sie sich die korrekten Einsätze durch Mithören holen und sich überdies noch in der Wirkung kontrollieren."(111) "Es ist eine neue Form der Mischung: Getrennt aufzeichnen, vereint wiedergeben."(112)
1972 war das Jahr, das eine neue Homerecordingphase
ankündigte: Der Anstoß dazu kam vom Markt(114), denn die steigende Nachfrage nach Mehrspurtechnik für den Amateur- und semiprofessionellen Bereich ("Personal Multitrack"(115)) wurde im besonderen ausgelöst von Rock- und Popmusikern, denen es verwehrt war, in professionellen Studios arbeiten zu können, die jedoch nicht darauf verzichten wollten, moderne studiotechnische Mittel zur kommerziellen Verbreitung oder inhaltlichen Verwirklichung ihrer Musik einzusetzen.(116) Für sie bedeutete eine Tonbandproduktion mittlerweile mehr als eine aufnahmetechnische Prozedur, die der Schallplattenherstellung vorgeschaltet war. Es war allgemein üblich geworden, sich mit einem qualitativ ansprechenden Demonstrationsband ('Demo-Tape') der eigenen Musik bei Konzertveranstaltern und Plattenfirmen vorzustellen, um sich um Auftritte oder Schallplattenverträge zu bewerben. Bislang war dieser Weg nur wenigen Musikern oder Bands vergönnt, die finanziell in der Lage waren, sich auch für ein Demo- Tape ein teures Studio zu mieten. Selbstproduzierte Aufnahmen im eigenen 4-Kanal- "Studio"(117) jedoch, mit eigenen Bandgeräten und entsprechend benötigten Mischpulten und Mikrofonen(118), zahlten sich über kurze Zeit schnell aus und ermöglichten es jetzt wesentlich mehr Musikern, ihr Demo-Tape preiswert zu erstellen. Meist fungierten befreundete Tonbandamateure als Aufnahmetechniker oder es schälten sich jene Mitglieder der Gruppen heraus, die mit dem elektronischen und elektroakustischen Equipment der Gruppe besonders gut umgehen konnten, so daß sie gewissermaßen zum Tonmeister der Gruppe avancierten.(119) Die 4-Kanal-Technik mit vier parallelen und synchronen Tonspuren ließ es zu, einzelne Instrumentengruppen auf getrennten Spuren aufzuzeichnen, entweder simultan oder nacheinander im Overdubbing-Verfahren(120), um sie beim späteren Abmischen auf das 2-spurige Mastertape präzise in der Lautstärke einander angleichen zu können und sie zusätzlich räumlich im Stereobild ('Panorama') zu plazieren, eventuell noch unterstützt durch einen künstlichen Halleffekt eines Bandecho- oder Federhallgerätes. Eine solche Aufnahme, mit Können und Phantasie gemacht, übertraf meist einen einfachen Stereo-Mitschnitt in der Qualität der klanglichen und räumlichen Abbildung und stellte so eine bessere Demonstration des Schaffens der Musiker dar. Gruppen, die beim Live-Konzert mit besonderen Klangmanipulationen und -effekten arbeiteten, die vom Mischpult aus gesteuert und dem "P.A.-Sound"(121) hinzugefügt wurden, nutzten besonders die Vorteile der nachträglichen klanglichen Bearbeitung ihrer eigenen Studioaufnahmen. Man hatte Zeit, konnte experimentieren und so am gruppenspezifischen Sound tüfteln. Für Amateurgruppen war dies eine einzigartig neue Übungs- und Kontrollmöglichkeit, um Stil und Aussagekraft zu entwickeln.(122)
Es ist nicht ganz zulässig, die so beschriebene Gruppe
von Amateurmusikern als Homerecordisten zu bezeichnen,
da sie eben nicht zu Hause arbeiten, sondern ihr Studio
meist in ihren Übungsräumen einrichteten.(123) Dort war
genug Platz, es herrschte eine vertraute Atmosphäre und
es fanden sich alle neben der Bandmaschine notwendigen
Geräte wie Mischpult, Mikrofone etc.. vor. Zudem teilten
sich manche Gruppen ein Aufnahmegerät, um es sich überhaupt
leisten zu können. Als 'Personal Multitrack' konzipierte 4- und 8-Kanal-Bandmaschinen(124) waren nämlich noch verhältnismäßig teuer: Man bekam sie Mitte der 70er Jahre ab ca. 4000,-
bzw. 9000,- DM.(125) * Die für den Amateur ziemlich hohen Kosten der Bandmaschine nebst Mischpult, Mikrofonen sowie eventuellen periphären Geräten, einer Abhöranlage oder einer Mastermaschine. Denn nur wenn die einzelnen Glieder der Aufnahmegeräte-Kette in der Güte einander entsprechen, kann die Klangqualität bishin zum Endprodukt, dem Mastertape, gehalten werden. Nachteiliges machte sich besonders bemerkbar, wenn an guten Mikrofonen, rauscharmen Mischpulten oder einer Mastermaschine gespart wurde. Die Kosten für solides 4-Kanal-Recording- Equipment samt Zubehör beliefen sich in den 70er Jahren auf ca. 15 000 DM.(126) * Den Platz, den ein solches Kleinstudio in Anspruch nimmt. Selbst die Aufnahmeapparatur für sich samt Verkabelung ist nicht ohne weiteres leicht transportabel oder verstaubar, so daß sie in einem eigenen Raum installiert werden sollte, in dem sich außerdem die arbeitenden Musiker mit ihren Instrumenten bequem ausbreiten können.(127) * Die Lautstärke der aufzunehmenden Instrumente. Phonstarkes Instrumentarium wie Schlagzeug oder elektrisch verstärkte Gitarren erfordern in einer Wohnung in der Regel einen schallisolierten Raum, um a) Anwohner nicht zu stören und b) die Akustik für die Aufnahmen zu verbessern (Bedämpfung).(128) Aus den obengenannten Gründen kam es für die wenigsten Musik- und Tonbandamateure in Betracht, die Mehrspurtechnik zu Hause zu nutzen. Das stückweise Aufbauen von Musikaufnahmen und das kreative Spiel mit den technischen Möglichkeiten war auch kaum für Klassik- und Folkloremusiker interessant, die für ihre Zwecke mit einfachen Tonbandgeräten auskamen. Ein im Heim musizierendes Ensemble ließ sich bei geschickter Mikrofonplazierung zufriedenstellend mit einer Stereo-Maschine aufzeichnen.(129)
Allenfalls begüterte professionelle Rockmusiker machten von privaten Mehrspuraufnahmen Gebrauch, z.B. der Engländer Pete Townshend,
musikalischer Kopf der Band THE WHO:
(Synthesizer und Rhythmusmaschinen) Seit Anfang der 70er Jahre zeichnete sich in der Rock- und Popmusikszene der Trend ab, immer häufiger den 'Synthesizer' einzusetzen, der vor allem durch Walter Carlos' Schallplatteneinspielung (Switched-on-Bach) (1968)(132) bekannt geworden war und eine Welle der Faszination auslöste.(133) Dieses damals noch recht junge Musikinstrument, "... das mit rein elektronischen Mitteln prinzipiell beliebige Ton-, Klang- und Geräuschstrukturen erzeugen ... kann"(134), kam besonders denjenigen Musikern entgegen, die klangexperimentell arbeiteten oder ihr Sound-Spektrum erweitern wollten. Neuartige Klangvorstellungen ließen sich nun effektiver, mit weniger Aufwand realisieren(135) und prägten bei vielen Bands nachhaltig Musikstil und -struktur.
EMERSON, LAKE & PALMER oder PINK FLOYD z.B. ergänzten
ihr herkömmliches Instrumentarium und bezogen den Synthesizer
als entscheidendes Sound-Merkmal mit ein.(136) "In der Nachfolge psychodelischer Soundexperimente stehend hat diese Spielart synthetischer Musik eine sehr große Breitenwirkung erzielt ..."(140), und es "... keimte vor allem bei Jugendlichen der Wunsch auf, ein derartiges Instrument zu besitzen und seine Klangeffekte musikalisch zu verwenden."(141) Jedoch wurden Synthesizer für die meisten interessierten Amateure erst ab 1976 erschwinglich, als Selbstbauanleitungen erhältlich waren, nach denen man sich für weniger als 2000,- DM sein eigenes Instrument zusammenbasteln konnte. In Deutschland veröffentlichte die Bastelzeitschrift ELEKTOR in Form einer Serie die genaue Bauanleitung zum Selbstbau-Synthesizer 'Formant', der dem teuren 'Moog'-Synthesizer vom Prinzip her nachempfunden war. Ein regelrechter Boom an 'Do-it-yourself'- Projekten(142) wurde hierdurch ausgelöst.(143) Doch auch andere Synthesizer - insbesondere in Japan hergestellte - wurden in den Nachfolgejahren billiger, boten mehr Spielkomfort und fanden damit zunehmende Verbreitung unter Musikern.(144)
Für Homerecordisten eröffnete sich in dieser Zeit ein
neues Betätigungsfeld: * Bei Verwendung rein elektronischer Klangerzeuger wie Synthesizer und Rhythmusmaschinen erübrigte sich der Kauf teurer Mikrofone, da diese Instrumente auf direktem Wege per Kabel aufgenommen werden können. * Aus gleichem Grund entfiel das Lautstärkeproblem: Es konnte in 'Zimmerlautstärke' oder gegebenenfalls mit Kopfhörer-Kontrolle gearbeitet werden.(147) * Das Recording- und Instrumentenequipment erforderte nicht mehr unbedingt einen eigenen Kleinstudio-Raum. Eine hergerichtete Ecke eines Zimmers bot ausreichend Platz und erfüllte meist den Arbeitszweck für eine Einzelperson. Akustische Qualitäten eines Raumes waren zum Abhören vorteilhaft, doch für die Aufnahme unwichtig.
Solo-Musiker, die alles selber machten, von der ersten Kompositionsidee über Spielen und Aufnehmen der Instrumente bishin zum fertig abgemischten Masterband, konnten ab Mitte der 70er Jahre enorme Erfolge verbuchen, etwa die Synthesizerkomponisten Jean-Michel Jarre und Klaus Schulze im Bereich der rein synthetischen Musik oder Multiinstrumentalisten wie Mike Oldfield und Michael Rother, die neben elektronischen und elektrisch verstärkten auch diverse akustische Instrumente selbst einspielten.(148) "Eine ständig wachsende Anzahl von Amateuren, die sich ihre Synthesizer z.T. selbst gebaut hatten, stellten mit Hilfe billiger mehrkanaliger Tonbandmaschinen[149] und kleiner Mischpulte auf eben die gleiche Weise wie ihre Vorbilder selbstkomponierte oder improvisierte bzw. arrangierte Werke her, so daß man durchaus von der Entstehung einer neuen Form der Hausmusik sprechen kann."(150) Die frühen Synthesizer (wie auch die Selbstbaumodelle) waren monophon, also einstimmig ausgelegt. Jede zusätzlich gewünschte Stimme erforderte den Kauf eines kostspieligen Erweiterungsmoduls. Mit Hilfe der Mehrspurtechnik und durch geschicktes Zusammenfassen von Spuren bei Zwischenmischvorgängen(151) konnten mehrere Einzelstimmen zu Akkorden geschichtet und so ein polyphones Erklingen erreicht werden. Erst gegen Ende der 70er Jahre kamen erste mehrstimmige Synthesizer auf den Markt (z.B. der 'Polymoog', der 'OBERHEIM Four-Voice', der 'ROLAND Jupiter 4' oder etwas später der preiswerte 'KORG Polysix')(152), die dieses Verfahren zwar weitgehend hinfällig werden ließen(153), jedoch in ihren spieltechnischen Möglichkeiten im Vergleich zu den Modul-Synthesizern wesentlich eingeschränkter waren.(154) Polyphone Synthesizer ließen ein neues Klangideal entstehen: "Der 'schöne', harmonische, elektronisch reine Klang."(155)
1. Ein Grundrhythmus wird ausgewählt, den ein Rhythmusgerät erzeugt und der mit relativ geringen Varianten ständig abläuft. Synchron zur Rhythmusmaschine läuft ein Sequencer, der einen Bass-Sound (Synthesizer) steuert und kurze, ständig sich wiederholende Bass- Ostinati zum automatischen Grundrhythmus hinzufügt. 2. Dazu passend werden auf manuelle Weise Akkorde mit flächendeckenden Sounds darübergelegt (Streicher- oder Bläsersounds per Einzelstimmen-Schichtung oder poliphonem Synthesizer; Orgel). An Stelle der meist lang ausgehaltenen Akkorde können auch im Prestissimo repetierende, schwingende Akkord-Arpeggios treten, die wiederum vom Sequencer gesteuert werden und deren Grundtonlage mit nur einem Finger auf der Tastatur angegeben wird. Charakteristisch für die Harmonik der so entstandenen Stücke ist daher ein Verschieben eines einmal gewählten Akkordtyps, während Modulationen oder Änderungen des Tongeschlechts relativ selten vorkommen, da sie schwierig zu programmieren sind. 3. Hinzugefügt werden dann spezielle Effekte, wie weite Glissandi, 'Brandungsrauschen', percussive Blubbereffekte, Phasing, Echowirkungen usw., die einen avantgardistischen Touch erzeugen sollen.
* fehlende instrumentale Fertigkeiten (bei Laienmusikern) können durch Einsatz von Begleitautomaten, Arpeggiatoren und Sequencern ausgeglichen werden. * "die musiktechnischen Apparaturen ermöglichen dem musikalisch auf einer höheren Leistungsstufe stehenden Laien die Produktion von Musik, die ohne Mehrspurtechnik, ohne synchronisierte Sequencer und Rhythmuscomputer normalerweise nicht zustandekäme, da zwischen dem inneren musikalischen Vorstellungsvermögen und den instrumentalen Fertigkeiten i.a. eine unüberbrückbare Diskrepanz herrscht ... Darüber hinaus gestattet Musiktechnik bekanntermaßen die Realisierung von klanglichen und musikalischen Prozessen, die normalerweise überhaupt nicht mit manuellen Fertigkeiten und herkömmlichen Spieltechniken verwirklicht werden könnten ..."(157).
1. Die musiktechnischen Apparaturen machen unabhängig von den musikalischen Vorstellungen und Zielen anderer, die normalerweise für die klangliche Realisierung einer Eigenkomposition gebraucht würden. 2. Die Techniken des Homerecordings und des Sequencerprogrammierens machen den Ersatz der Mitspieler möglich, da sie den eigenen Anteil am geplanten musikalischen Arrangement vervielfachen und eine - hinsichtlich anderer, behindernden Interessen - kompromißlose Umsetzung der individuellen musikalischen Idee entstehen lassen.
a) Aufnahmegeräte 1980 war es wiederum die japanische Elektronik-Industrie, die mit einer zur damaligen Zeit revolutionären Entwicklung auf dem Homerecording-Sektor aufwarten konnte: Das erste Kompakt-Heimstudio kam auf den Markt, auch 'Portastudio' genannt.(160) Nicht größer als ein Aktenkoffer war es einfach zu transportieren ('portable') und beinhaltete folgende Elemente in einem Gerät:(161)
Das ungewöhnlichste und erstaunlichste an den neuen Portastudios war, daß in der Recording-Sektion mit Compact-Cassetten gearbeitet werden konnte, die neben ihrer bequemen Handhabung den entscheidenen Vorteil hatten, ein äußerst preiswertes Bandmaterial darzustellen. Obwohl 4 Tonspuren auf dem nur 3.8 mm breiten Magnetband Platz finden mußten(163), waren die Voraussetzungen, um ein Cassetten-Laufwerk in ein Heimstudio integrieren zu können, gegeben, denn die Tonqualität der Compact-Cassette hatte gegen Ende der 70er Jahre eine derartige Steigerung erfahren, daß dieses kleine Bandformat im HiFi-Bereich (Heim-Stereoanlagen) mittlerweile schon etabliert war und nun auch Homerecording-Ansprüche erfüllen konnte.(164) Im Vergleich zu den "HiFi-Tapedecks"(165) arbeiteten die Cassettenlaufwerke der meisten Portastudios mit doppelter Geschwindigkeit (9.5 cm/sec.). So ließen sich in Kombination mit bewährten Rauschunterdrückungssystemen, "... die einen excellenten Fremdspannungsabstand liefern"(166), sehr gute Übertragungsdaten erzielen, die sogar den Werten einfacher 4-Kanal-Spulentonbandgeräte kaum nachstanden. Seit ihrem Aufkommen wurden die Portastudios immer wieder verbessert und es kamen neue Modelle der verschiedensten Hersteller(167) hinzu, so daß mittlerweile die Anzahl der angebotenen Geräte fast unüberschaubar groß ist. Bei ähnlichem Grundkonzept weisen die 4-kanaligen Kompaktstudios hauptsächlich Unterschiede in bezug auf Klangqualität, Flexibilität, Verarbeitung und Preis auf.(168) Die ersten Geräte Anfang der 80er Jahre waren für ca. 2.300 DM zu erwerben(169), kurze Zeit später folgten einfachere Ausführungen (schon ab 1000 DM(170)). Mit solch einer kompakten Studioeinheit boten sich dem kreativen Musiker, Komponisten und Arrangeur nach kurzer Einarbeitungszeit alle Vorteile der Mehrspurtechnik. Bei Ausnutzung der vollen Kapazität des Portastudios ließen sich bis zu zehn Instrumente oder Stimmen(171) durch Nachsynchronisieren und 'Ping-Pong'-Verfahren (Zusammenfassen von Spuren innerhalb des Recorders) aufnehmen.(172)
Zum Abhören der Aufnahmen konnte eine normale Heim-
Stereoanlage dienen, zum Abmischen auf eine Stereo-Summe
reichte ein Cassetten-Tapedeck aus, um zufriedenstellende
Ergebnisse zu erzielen.(173) * Audiotechnische Geräte wie Stereoanlage und Tapedeck waren in einem 'Musiker-Haushalt' meist bereits vorhanden(174) * Um die Grundausstattung eines einfachen Aufnahmestudios zu komplettieren, wurde lediglich noch ein gutes Mikrofon (ca. 300 DM) benötigt - bei ausschließlicher Verwendung elektronischer Instrumente, die direkt per Kabel eingespielt werden können, war sogar diese Anschaffung hinfällig.(175)
Parallel zu den Cassetten-Studios wurden von der Industrie ebenfalls neue, stark verbilligte 4- und 8-Kanal-Spulentonbandmaschinen entwickelt(177), die vor allem im semiprofessionellen Bereich eine erweiterte Käuferschicht fanden als bisher. Doch galt das Hauptinteresse der Musik-Amateure den kleinen Kompaktstudios.(178)
Um die erweiterten Homerecording-Möglichkeiten in den 80er Jahren darzustellen, müssen neben den Aufnahmeapparaturen ebenfalls die sich ständig weiterentwickelnden Bereiche
- der elektronischen Klangerzeuger und betrachtet werden.
Immer perfekter arbeitende elektronische Prozessoren
und zuletzt die Einführung und Verbreitung des
'Mikrochip' in der Musikelektronik waren der Grund
dafür, daß leistungsfähige Technologien in kleinen
und immer preiswerteren Geräten verwirklicht werden
konnten.(179)
* Poliphone Synthesizer wurden beträchtlich kleiner
und billiger und boten erweiterten Spielkomfort
wie z.B. : * Auch Rhythmusmaschinen ('Drumcomputer') wurden programmierbar. Man konnte sich Rhythmen nun selbst ausdenken und war nicht mehr auf die vielleicht 48 festen Rhythmen eines Gerätes der ersten Generation angewiesen.(181) Als interne Schlagzeug- und Percussionklänge wurden zunehmend digital gespeicherte Echt-Sounds verwendet. So konnte ein Naturschlagzeug sehr realistisch nachempfunden werden. Über anschlagsdynamische Eingabetasten ('Pads') ließen sich sehr feine Rhythmusstrukturen ('Patterns') herstellen(182), die dann beliebig in der Abfolge zusammenstellbar waren und als kompletter Songablauf abgespeichert wurden.(183) * Neue Digital-Sequencer speicherten bis zu mehrere tausend Notenwerte auf polyphone Weise. Auch hier konnte das Programmieren einer Melodieabfolge 'in real time' über die Tastatur eines Synthesizers erfolgen.(184) * Digitale Hall- und Echogeräte boten dem Homerecordisten jetzt die Möglichkeit der künstlichen Raumsimulierung. Bislang wurde eine bestimmte Raumcharakteristik entweder direkt bei der Aufnahme per Mikrofon erzielt, indem man einzelne Instrumente oder Stimmen in Hausfluren, gekachelten Badezimmern etc. aufzeichnete, oder es wurde dem Tonsignal der Effekt eines Federhall- oder Bandechogerätes hinzugefügt. Neue digitale Geräte ließen diese Arbeitsweisen überflüssig werden. Die komplexen, elektronisch erzeugten Hall- und Echostrukturen, mit denen die Aufnahmen bearbeitet wurden, vermochten einen authentischen Raumeindruck zu vermitteln.(185) * Speziell auf Homerecording-Ansprüche zugeschnittene Kompressor- und Transposer-Systeme(186) ermöglichten es, Aufnahmen in ähnlicher Weise zu beeinflussen, wie es in professionellen Tonstudios schon seit längerer Zeit üblich war.(187) * Für Aufnahmen elektrischer Gitarren und Bässe eigneten sich in besonderer Weise kleine "Pocket-Amplifier"(188), die im 'Walkman'- Format gehalten waren. Zwischen Instrument und Aufnahmegerät geschaltet, erzeugten sie einen 'studioreifen' Sound, der sonst nur mit übersteuerten Röhrenverstärkern oder durch Bearbeitung mit mehreren, meist teuren Effektgeräten zu erreichen war. Ein für viele Homerecordisten wesentliches Problem, die unerwünschte Lautstärke bei der Einspielung elektrischer Gitarren, ließ sich somit umgehen.(189)
Hinsichtlich erweiterter technischer Aufnahmemöglichkeiten
stellten m.E. die Portastudios im Vergleich zu
den schon länger existierenden 4-Kanal-Heimstudios mit
Spulentonbandgeräten keine Innovation dar. Der enorme
Fortschritt bei den Kompaktstudios lag hauptsächlich
darin begründet, daß herkömmliche Mehrspur-Technologie
der 70er Jahre in kleinen, äußerst preiswerten Geräten
verwirklicht werden konnte: "Gerade fünf [sic!(191)] Jahre sind vergangen, als mit den ersten 4-Spur-Cassetten-Studios eine Entwicklung in Gang gesetzt wurde, die bis dahin ungeahnte Möglichkeiten eröffnete. ... Vorbei war's mit den guten alten Akustik- Gitarren-Demos oder Aufnahmen mit einem Mikro im Übungsraum. Es wurde möglich, die Arbeitsweise im professionellen Studio - wenn auch in zunächst sehr begrenztem Umfang -, zu Haus zu praktizieren."(192) War in den 70er Jahren der Anwenderkreis von Heimstudios noch ziemlich überschaubar und daher relativ leicht zu benennen (Elektronik-Musiker, Amateur-Tontechniker, wohlhabende Musiker der semiprofessionellen bzw. professionellen Szene)(193), konnten Portastudios seit Anfang der 80er Jahre in den unterschiedlichsten musikalischen Bereichen Einzug finden, vor allem unter Amateur-Musikern. Dabei kann man davon ausgehen, "... daß sich die große Mehrzahl der Homerecordisten mit der Realisierung von Popsongs jedweder Art beschäftigt, d.h. versucht, Vorstöße in den Bereich der sogenannten kommerziellen Popmusik zu unternehmen."(194) Das Aufzeichnen musikalischer Ideen, wie etwa melodischer Phrasen, Harmoniefolgen, bestimmter Rhythmen, oder auch von Liedabläufen, die man z.B. mit Stimme und Instrument vorträgt, ist schon seit längerer Zeit möglich: Mit einfachen Tonbandgeräten oder Cassettenrecordern. Die Verfügbarkeit unkomplizierter Mehrspurtechnik in Form der Portastudios jedoch hat es Musikern eröffnet, komplexere Ideen festzuhalten und zu bearbeiten:(195) * Der aufgenommene musikalische Einfall kann auf weiteren Tonspuren ergänzt werden, die spontane Idee eines mehrstimmigen Arrangements läßt sich so ohne großen Aufwand auf Band umsetzen. * Die Aufnahmen lassen sich korrigieren und bearbeiten, z.B. ist das nahtlose Einfügen einer neuen Klangaufzeichnung in eine bereits bestehende Aufnahme durchführbar. * Man kann zu beliebiger Zeit auf eine schon fixierte Idee aufbauen, sie später ergänzen oder verändern. * Die Idee eines räumlichen Klangbildes der Musik (wie etwa eine bestimmte gewünschte Tiefenstaffelung einzelner Stimmen) kann durch Bearbeitung der Aufnahmen mit Mischpult- oder Hall- effekten verwirklicht werden.
Die Herangehens- und Arbeitsweise, Musik zu entwickeln, hat sich seit dem Aufkommen der Portastudios zunehmend verändert, denn: "Die oft so aufreibende Suche nach Mitmusikern ist nicht mehr unbedingt nötig: Die Mehrspurtechnik ermöglicht notfalls auch die Aufnahme im Alleingang."(198) Die solistische Vorgehensweise beim Homerecording erfordert analytisches und systematisches Arbeiten(199), wie es für viele Musiker m.E. in dieser Form ungewohnt sein dürfte, und stellt anfangs für die meisten Amateure eine neue Erfahrung dar: 'Mit sich selbst spielen' mit ständiger Eigenkontrolle.(200)
Etwa seit Mitte der 80er Jahre stehen Amateur-Musikern digitale Technologien zur Verfügung, die u.a. auch die 'Homerecording-Welt' entscheidend verändert haben. a) Naturklangspeicher
Das sogenannte 'Sound-Sampling-Keyboard', ein Naturklang-Speichersystem mit Tastatur, stellt unter den elektronischen Instrumenten eine neue Gattung dar.
Beliebige Klänge lassen sich über dieses Gerät digital
codieren und abspeichern. Das so gewonnene Klangmaterial
wird in einzelne Tonhöhenschritte umgesetzt (transponiert), der Tastatur entsprechend zugeordnet und bildet
auf diese Weise die Grundlage für ein Musikinstrument.(201)
Folgende Erweiterungsmöglichkeiten bei der Realisation von Musik bieten sich dem Homerecordisten durch Sound- Sampling-Systeme an: * Praktisch sämtliche bekannten Musikinstrumente lassen sich mit einem Sound-Sampler imitieren(205), originalgetreuer als mit jedem Synthesizer. Homerecording-Musikern steht so eine prinzipiell unbegrenzte Vielfalt an Instrumentenklängen zur Verfügung, um ihre Kompositionen oder Arrangements zu orchestrieren. * Ein Sound-Sampler eröffnet neue Wege, klangexperimentell zu arbeiten. Im Gegensatz zu Synthesizern, die einen Klang synthetisch bilden, basiert die Klangerzeugung hier auf realen akustischen Ereignissen, die weiterverarbeitet und verfremdet werden können.(206)
"Seit Jahren ... drängten die Musiker darauf, die Möglichkeiten der Digitaltechnik auch markenübergreifend nutzen zu können, um Computer einzusetzen, Sounds zu kombinieren, Vorgänge in den Synthesizern zu automatisieren und ferngesteuert ablaufen zu lassen."(207) Diesem Wunsch ist von seiten der Industrie mittlerweile Rechnung getragen worden, indem eine einheitlich genormte digitale Schnittstelle zum Datenaustausch zwischen elektronischen Instrumenten und Geräten geschaffen wurde: MIDI (Musical Instrument Digital Interface).(208) MIDI erlaubt die digitale Übertragung von Steuersignalen, die z.B. eine Keyboard-Tastatur beim Spielen abgibt. Jede gedrückte Taste sendet einen bestimmten Code aus, der die gespielte Tonhöhe, die erzielte Anschlagsstärke, die Dauer des Tons und eine Reihe anderer Parameter an ein anderes Instrument überträgt, so daß beide Instrumente parallel zueinander erklingen können. Auf diese Weise lassen sich von einer einzigen Tastatur aus mehrere Instrumente, die miteinander gekoppelt sind, steuern und spielen.(209) Dabei ist es unwichtig, von welchem Hersteller sie stammen, sofern sie über den MIDI-Anschluß verfügen.(210) Da bei der Koppelung mehrerer elektronischer Klangerzeuger nur eine Tastatur notwendig ist, um alle Systeme anzusteuern, haben sogenannte 'Expander-Module' (Synthesizer- oder Sampler-Einheiten ohne Tastatur) weite Verbreitung gefunden. Diese meist relativ preiswerten Erweiterungs-Einheiten stellen eine ideale Ergänzung zu einem Haupt-Keyboard dar.(211) Seit einiger Zeit steht es z.B. Gitarristen, Bläsern oder Geigern offen, auch von ihrem gewohnten Instrument aus das MIDI-System zu nutzen. Mit einem zwischengeschalteten "Pitch-to-MIDI-Interface"(212) lassen sich Tonhöhe, Hüllkurve und Lautstärke eines akustischen Instrumentenklanges in digitale Daten umwandeln, um so Synthesizer, Sound-Sampler oder entsprechende Expander-Module fernsteuern zu können. Diese Spielmögichkeit kommt besonders Homerecording-Musikern gelegen, denen der Umgang mit einer Keyboard-Tastatur Schwierigkeiten bereitet. Sollen etwa komplexere Melodie- oder Harmoniefolgen in elektronischen Klangfarben erklingen, kann ein Musiker in seiner ihm vertrauten, gelernten Spieltechnik des jeweiligen Instrumentes wesentlich versierter und gefühlvoller intonieren als auf der ihm fremden Tastatur.(213)
Eine MIDI-Anwendung, die für den Homerecording-Bereich
von noch weit größerer Bedeutung ist als die
Instrumentenkoppelung, ist der Einsatz eines MIDI-Recorders
anstelle der analogen Mehrspurmaschine. - Ein Computer läßt sich flexibler einsetzen, da man unterschiedliche Software, also verschiedene Systeme verwenden kann. - Das 'Editieren' (Bearbeiten und Korrigieren) wird durch einen Bildschirm wesentlich erleichtert im Vergleich zu Hardware-Sequencern, die nur über eine sehr kleine Anzeigevorrichtung ('Display') verfügen. - Die meisten Sequencerprogramme sind für Heim- Computer geschrieben, die in einem Haushalt des öfteren schon vorhanden sind. So muß lediglich die Sequencer-Software käuflich erworben werden.(218)
Die Tatsache, daß nicht die Klänge selber, sondern nur die Informationen über Tonhöhe, Tondauer, Anschlagsstärke usw. gespeichert werden, birgt im Vergleich zu analogen Mehrspurrecordern völlig neue Möglichkeiten in sich, ein Musiksstück zu entwickeln und zu bearbeiten, z.B.:(220) * Einzelne Klänge einer Komposition können zu jeder Zeit beliebig ausgewechselt und kombiniert werden, um durch Ausprobieren den optimalen Klangcharakter zu finden. * Musikalische Informationen lassen sich Stück für Stück, Takt für Takt und Note für Note editieren. Fehler bei der Aufnahme können so gezielt und ohne großen Zeitaufwand ausgebessert werden. * Mehrere Spuren können ohne Qualitätsverlust (wie etwa bei Analogrecordern) zusammenkopiert werden. * Rhythmische Schwankungen können durch "Quantisierung"(221) begradigt werden. * Man kann die Geschwindigkeit eines Stückes unabhängig von der Tonhöhe verändern, "... so daß sich ein Stück langsamer stellen läßt, wenn man gerade eine schwierige Stelle einspielen will."(222) * Ganze Abschnitte eines Musikstückes (z.B. eines Songs) lassen sich per Tastendruck transponieren oder kopieren.
Ist das Arrangement und der Ablauf des elektronischen Werkes fertig in den Sequencer einprogrammiert, erfolgt die Endabmischung: Während der Sequencer die Informationen an die Klangmodule abgibt, sie quasi 'spielen läßt', werden die einzelnen Stimmen über ein Mischpult endgültig einander zugeordnet und im Stereo-Panorama plaziert. Die Abmischung auf das Mastertape kann also in Echtzeit erfolgen, ohne den 'Umweg' einer analogen Bandaufnahme.(225) Wer als Mastermaschine ein hochwertiges Tonbandgerät oder sogar einen "DAT-Recorder"(226) zur Verfügung hat, kann rein elektronische Musik "... im Wohnzimmer absolut 'plattenreif' produzieren"(227), da klangliche Einbußen kaum oder gar nicht zu verzeichnen sind. Sollen außer elektronischen Klangerzeugern auch noch akustische oder elektrisch verstärkte Instrumente (z.B. Elektrogitarre) in die Mehrspuraufnahme integriert werden, muß der MIDI-Recorder mit einem analogen Mehrspurrecorder kombiniert und synchronisiert werden. Meist erfolgt die Koppelung beider Systeme folgendermaßen: Der Sequencer gibt Synchronisationssignale ab, die auf eine Spur des Bandgerätes aufgezeichnet werden ('Sync-Spur'). Nun lassen sich die drei verbleibenden Tonspuren(228) parallel zu den ferngesteuerten elektronischen Instrumenten bespielen und wiedergeben, da sie exakt zeitgleich zum MIDI-System ablaufen.(229)
Seit Mitte der 80er Jahre stehen MIDI-Sequencer als Alternative oder Ergänzung zu herkömmlichen Bandstudios zur Verfügung. Doch obwohl mit dem Aufkommen dieser Geräte ein neues Homerecording-Zeitalter begonnen hat, sind Tonbandrecorder (wie etwa die Portastudios) nicht verdrängt worden. Beide Aufnahmesysteme schließen sich nicht aus und stehen bis heute gleichberechtigt nebeneinander, denn:
"Will man außer elektronischen Klangerzeugern, wie
Synthesizer/Expander, Drumcomputer etc., auch noch traditionelle
Instrumente in die Mehrspuraufnahme integrieren, so kommt man nicht
darum herum, zusätzlich zu
Hardwaresequenzer oder Computer mit Sequenzersoftware
noch einen Mehrspurrecorder zu verwenden, der dann
diejenigen Signale aufzeichnet, die sich - wie z.B. die
menschliche Stimme - bis dato erfolgreich der Computersteuerung
entzogen haben. Ob man dafür nun besser einen
Recorder mit vier, acht oder soger 16 Kanälen verwendet,
hängt letztlich davon ab, wie viele solcher 'nichtmidifizierter'
Signale man zusätzlich aufzeichnen will. Ein Studio mit Mehrkanalbandmaschine und Sequencer, ein sogenanntes 'Hybrid-Studio', ist in den letzten Jahren sehr beliebt geworden, denn es ist eine Kombination, welche die Vorteile beider Systeme in sich vereinigt.(232) Die Entscheidung darüber, welche Technologie für den Eigenbedarf finanziell und künstlerisch sinnvoll ist, hängt letztlich von den spezifischen Bedürfnissen jedes einzelnen Musikers ab. "Bestimmte Stodiotypen sind für bestimmte Musikstile besser geeignet als andere."(233) * Für akustische Musik (Folk, Klassik etc.) und traditionelle Jazz- und Rock-Stilarten ist ein analoges Tonbandstudio aus schon genannten technischen Gründen nicht zu ersetzen, ein Sequencer kann hier nur eventuell eine Ergänzung darstellen (etwa für Keyboards oder Drumcomputer).(234) * Für moderne Jazz-, Rock- und Popmusik ist ein Hybridstudio ideal, da meist mehrere elektronische Klangerzeuger verwendet werden, die aus praktischen und qualitativen Gründen besser per Sequencer aufgezeichnet werden können.(235) * Für alle Spielarten rein elektronischer Musik hat sich mittlerweile die Verwendung eines MIDI- Studios fast vollkommen durchgesetzt. "Hier kann ein Komponist die vielfältigen Editiermöglichkeiten der meisten Sequenzerprogramme benutzen, um seine Stücke bis zur Perfektion zu bearbeiten. Wenn man akustische Klänge braucht, kann man sie über einen Sampler spielen."(236)
Neben den Vorteilen a) der erreichbaren hohen Klangqualität (durch direktes Mastern) und b) der komfortablen Editiermöglichkeiten erweist es sich im MIDI-Studio oft als Problem, daß "... die schreckliche Versuchung entsteht, jedes Detail und jeden Parameter zu bearbeiten. Abgesehen davon, daß dieser Prozeß auch viel Zeit verschlingt [ - MIDI-Geräte sind schließlich sehr komplex - ], kann man dadurch leicht einiges von der ursprünglichen Spontanität eines Stückes verlieren."(239) Die reizvolle Vorstellung der erreichbaren Perfektion einer Musikaufnahme veranlaßte viele konventionell arbeitende Homerecordisten dazu, ihr Bandstudio um MIDI- Instrumente und -Recorder zu bereichern. "Die Industrie hat es verstanden, die Musiker immer mehr dazu zu animieren, das Equipment weiter auszubauen und sich mit den neuesten Technologien zu umgeben. In letzter Zeit, seit ca. 1986, ist zu beobachten, daß einige Heimstudio-Anfänger, vor allem unter den jüngeren, die durch elektronische Instrumente an die Musik herangeführt worden sind, direkt mit einem MIDI-Sequencersystem als Heimstudio-Grundstock beginnen. Doch nach wie vor besitzen die Portastudios auch bei Einsteigern einen höheren Stellenwert, da ein einfaches Bandsystem zum einen in der Anschaffung billiger und zum anderen in der Anwendung vielfältiger ist. Grunderfahrungen des mehrspurigen Aufnahmeverfahrens werden meist immer noch über analoge Signalaufzeichnungstechniken gemacht."(240)
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