III. Untersuchung der praktischen Anwendung von Homerecording-Systemen in den 80er Jahren

Heimstudioarbeit ist in den 80er Jahren sehr vielfältig geworden. Musiker stellen sich gemäß ihren Ansprüchen ein individuelles Studio zusammen und nutzen die Technik auf mitunter sehr unterschiedliche Weise.
Um einen kurzen Einblick in verschiedene praktische Anwendungsbereiche zu geben, sollen im nachfolgenden Kapitel beispielhaft acht Homerecordisten und ihre jeweilige musikalische Arbeit vorgestellt werden. Danach folgt der Versuch einer Auswertung.

Diese Untersuchung ist nicht repräsentativ und erhebt daher auch keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Dennoch wurde die Auswahl der Personen nicht willkürlich getroffen. Alle acht Musiker stammen aus dem persönlichen Umfeld des Verfassers, der versucht hat, möglichst unterschiedliche Beispiele anzuführen, insbesondere hinsichtlich folgender Kriterien:

* Stilart der Musik (von klassischer Musik über Jazz und Klangexperimenten bis zu Elektro-Pop)
* Status des Musikers (Amateur, semiprofessioneller oder professioneller Musiker)
* Ausbildung des Musikers (früherer Instrumentalunterricht oder autodidaktische Lernweisen)
.

Die ausgewählten Personen sind bis auf eine Ausnahme zwischen 28 und 38 Jahre alt(241) und beziehen allesamt ihre musikalischen Grunderfahrungen aus solistischem und kollektivem instrumentalen Spiel, auch schon vor ihrer aktiven Heimstudio-Zeit.
Jeder Musiker hat bereits eine grundlegende Homerecording-Phase durchlaufen, d.h. angefangen haben alle mit einfachen Tonbandgeräten oder Cassettenrecordern, um Heim-Aufnahmen zu machen, in der Regel zu relativ einfachen Verwendungszwecken:(242)

* Eigene Musikvorträge oder musikalischen Ideen wurden aufgezeichnet, um sie festzuhalten oder um das Spiel zu kontrollieren.
* Zu den Bandaufnahmen wurde gespielt oder improvisiert, um zu üben bzw. um etwas Neues aus der Improvisation heraus zu entwickeln und es in einer Komposition weiterzuverarbeiten.

Auch haben die meisten mit der Multiplay-Funktion der Tonbandgeräte 'gespielt', um z.B. die eigene Stimme im 'Solo-Duett' aufzunehmen o.ä..
Wie in den Interviews ersichtlich werden wird, machte der Großteil der angeführten Homerecordisten anhand dieser für heutige Verhältnisse simplen Schichtungstechnik erste Erfahrungen mit der "Multiplikation der eigenen musikalischen Potenz"(243).
Da jedoch die erreichbare Klangqualität der Aufnahmen sowie die Flexibilität des Verfahrens äußerst begrenzt waren, stellten sich die Multiplay-Experimente den Musikern nach kurzer Zeit als unbefriedigend dar. Bei ihnen war das Interesse geweckt worden, sich ein Mehrspur- Heimstudio aufzubauen, um neue Aufnahme- und Kompositionsmethoden kennenzulernen und eigene selbstproduzierte Musik zu realisieren.

Individuelle Arbeitsweisen und erweiterte musikalische Zielsetzungen machen sich bei jedem der vorzustellenden Homerecordisten erst ab dem Zeitpunkt bemerkbar, wo sie die Mehrspurtechnik für sich gewinnen. So bezieht sich folgende Untersuchung im wesentlichen auf Anwendungen mit 4-/8-Kanal-Tonbandgeräten und MIDI-Recordern.

Heutige Homerecording-Anfänger, die nach der Einschätzung Hermann Bäumkers frühestens ab dem 20. Lebensjahr damit beginnen, sich ein eigenes Heimstudio aufzubauen(244), sind in der nachfolgenden Untersuchung nicht vertreten. In mehreren erfolgten Kurzgesprächen mit entsprechenden Personen erwiesen sich mir ihre Aussagen als zu substanzarm, da sie m.E. ihr Schaffen (noch) nicht reflektieren konnten. Wie sich jedoch herausstellte, sind die Arbeitsweisen und Anwendungsbereiche heutiger Heimstudio-Anfänger denen der im folgenden vorgestellten Homerecordisten (in entsprechend früheren Phasen) prinzipiell sehr ähnlich, so daß sie m.E. durchaus vergleichbar sein dürften. In beiden Gruppen wird z.B. anfangs mit einem 4-Kanal-Bandgerät umgegangen.
Ein Unterschied besteht allerdings darin, daß heutzutage dem Homerecording-Einsteiger vergleichsweise hochtechnisiertere bzw. preiswertere elektronische Musikinstrumente und Peripheriegeräte zur Verfügung stehen. Das mag den Aufnahmen bisweilen einen anderen Klangcharakter verleihen, ändert jedoch m.E. nichts an der prinzipiellen Arbeitsweise im Studio.

Hingegen gibt es eine relativ kleine Gruppe von jungen Musikern, die ausschließlich mit elektronischen Musikinstrumenten aufgewachsen sind, wenig oder gar keine Erfahrung im kollektiven Spiel (Orchester, Bands, etc.) haben und erweitertes praktisches Musizieren nur mit einem MIDI-Recording-System verwirklichen.(245) Diese Personen sind nicht durch herkömmliche Musizierweisen vorbelastet und können so eine völlig neue Herangehensweise an Musik für sich entwickeln. Es mag bestimmt einige Parallelen zu den Amateur-Elektronikmusikern der 70er Jahre geben, doch betrachtet man allein die Tatsache, daß mit einem modernen Sequencer der Zugriff auf praktisch jeden musikalischen Parameter zu beliebiger Zeit möglich ist, so stellt diese sich wahrscheinlich zunehmend herausbildende neue Homerecording- Anwendergruppe einen interessanten Gegenstand für eine eigene Untersuchung dar.


Die Interviews mit den vorgestellten Musikern wurden 1988 geführt.(246) Folgende Themen bildeten dabei den Schwerpunkt:

*  Entwicklung des Heimstudio-Equipments über die Jahre

*  Typische Arbeits- und Vorgehensweisen

*  Musikalisches Ziel und Verwendungsbereiche der Aufnahmen

*  Entwicklung der eigenen Musik durch Homerecording.



 

A. Beispielhafte Vorstellung einiger Homerecordisten und ihrer Arbeit


1. Eckhardt Günther(247)

(36, Musiker und Gitarrenlehrer in Osnabrück)

Neben seiner Tätigkeit als Musiklehrer befaßt sich Günther schon seit über zehn Jahren mit Eigenkompositionen. Es handelt sich dabei ausschließlich um Musik für akustische Instrumente und vokale Stimmen, das Spektrum reicht von klassischer Musik (z.B. Werke für Streichorchester und Klavier) über Jazz (Big-Band-Arrangements) bis zu Musicals und 'Liedermacher'-Songs. Letztere führt Günther auch selbst in Konzerten auf, entweder solo oder zusammen mit einer Band.
Sämtliche Kompositionen schreibt er in Partituren aus (Günther: "Ich bin ein Notist!"), um die Musik Orchestern und Bands in Notenform vorlegen zu können. "Abgesehen davon liebe ich es, die Musik in Notenstrukturen zu sehen."

"Doch bei Orchesterproben oder Demo-Aufnahmesessions in Studios war es immer sehr schwierig für mich, die vorkomponierten Stücke weiterzuformen, jedenfalls kostete es immer viel Zeit und Nerv. Das erwog mich dann 1985, mir ein kleines 4-Kanal-Portastudio zuzulegen, ergänzt durch ein Hall- und Echo-Gerät. Nun brauche ich nicht auf den Moment der Orchesterprobe zu warten, um meine Kompositionen im Zusammenhang hören zu können, da die Mehrkanal-Aufnahmen für mich eine vorherige Kontrollmöglichkeit bedeuten. Ich kann hören, ob 'die Noten sich mögen'."

Eckhardt Günthers Heimstudio-Equipment besteht außer den schon genannten Geräten lediglich noch aus einem Mikrofon und einem Chorus-Effekt für die Gitarren.

"Bei den Bandaufnahmen instrumentiere ich die Stimmen der Partitur im Anfangsstadium meist nur mit Gitarren und Gesangsstimmen, also mit Mitteln, die ich beherrsche. Möchte ich etwa Streicher- oder Bläserstimmen umsetzen, lade ich befreundete Musiker zu mir nach Hause ein, die mir mit Synthesizern die jeweiligen Parts auf die Tonspuren einspielen. Das ist letztendlich doch effektiver, als wenn ich selbst versuche, diese Sachen mit geliehenen Instrumenten zu spielen und aufzunehmen. Ich merke zwar, daß ich mir durch eigenes Probieren die Welt der Tasten schon mehr erschlossen habe, doch werde ich nie ein besserer Keyboarder sein. Schon allein dem Sound wegen: Ich betrachte Synthesizer- und auch Samplerklänge immer als Surrogat für akustische Instrumente."
Effektgeräte spielen bei Günthers Aufnahmen eine untergeordnete Rolle:
"Echoeffekte setze ich bei Songs manchmal rhythmisch ein, oder ich entwickele aus der Mischung von direkten und verzögerten Gitarrentönen kleine Ostinato-Figuren. Ein Hallgerät läßt das Klangbild insgesamt ein wenig runder erscheinen. Als sehr nützlich erweist sich oft die Möglichkeit, die Laufgeschwindigkeit des Portastudios zu verändern. Z.B. lassen sich bei langsamerer Stufe Töne auf Band singen, die später, beim Abspielen auf normaler Geschwindigkeit, entsprechend höher erklingen. So kann ich Sopranstimmen von Vokal-Arrangements auf Band umsetzen."

Selten komponiert Günther ein Stück mit Hilfe des Portastudios, es sei denn, er probiert Gesangsarrangements aus: "Indem ich zu bereits aufgenommenen Stimmen eine neue live dazu singe, finde ich nach einigen Versuchen die passende neue Linie. Oft ergibt sich dabei eine sehr eigenwillige Stimmführung. Doch meistens entsteht die Musik im Herz und im Kopf, und ich schreibe sie direkt auf Papier. Die Aufnahmen dienen - wie gesagt - der Nachkontrolle, um eventuell Kleinigkeiten zu korrigieren. Im Grunde geht es bei einer Aufnahme immer nur um die Notenwerte generell, da Dynamik, Agogik und andere musikalische Feinheiten auf einem Tonband kaum zur Geltung kommen.
So betrachte ich mein Heimstudio als praktisches Arbeitswerkzeug und freue mich darauf, meine Musik in anderer Umgebung mit den 'richtigen' Instrumenten und Musikern zu spielen und zu hören."


 

2. Jan Schäfer(248)

(30, Musiker und Klavierlehrer in Osnabrück)

Seit den 70er Jahren ist Jan Schäfer live-musikalisch als Keyboarder und Sänger aktiv. Früher spielte er in diversen Blues- und Rockbands, heute arbeitet er mit einem Jazz-Trio und einer eigenen Popgruppe.
"Das Ziel, das ich bis heute noch nicht erreicht habe, ist nach wie vor: von meiner Musik zu leben. Seit einiger Zeit arbeite ich diesbezüglich an einem Popmusik-Projekt, das mich insbesondere als Sänger herausstellen soll. Das Jazz-Trio hingegen bedeutet für mich in erster Linie, einfach eine gute Zeit zu haben."

Bis 1982 benutzte Schäfer ein Tonbandgerät, um kleine Ideen aufzunehmen und so festzuhalten.
"Allmählich entwickelte sich bei mir der Drang, eigene Stücke zu komponieren. Anfangs experimentierte ich mit der Multiplay-Funktion der Bandmaschine, um E-Piano oder Klavier und einzelne Gesangsstimmen nacheinander aufzunehmen, später verwendete ich dazu zwei Cassettenrecorder, die ich im 'Ping-Pong'-Verfahren einsetzte. Doch beides konnte mich nicht recht überzeugen, da die Tonqualität eher unbefriedigend war."

Das änderte sich, als Schäfer ab 1984 mit einem Portastudio arbeitete: Nun standen ihm vier Tonspuren zur Verfügung, die zudem noch nachträglich ausgebessert werden konnten. Auch eröffnete sich ihm eine neue Kontroll-Möglichkeit:
Er spielte und sang zu dieser Zeit sehr gern zu Übungs- Schallplatten, auf denen sich komplette Jazz-Arrangements befinden. Da die Hauptstimme ausgespart ist, kann der Musiker selbst diesen Part übernehmen, sei es mit einem beliebigen Instrument oder mit der Stimme. "Mein Zusammenspiel mit der Platte nahm ich auf mehrere Spuren auf, und ich konnte mich nachträglich kontrollieren und verbessern. Auf diese Weise habe ich eine Menge gelernt."

Eine ähnliche Technik verwandte Schäfer ebenfalls bei den ersten mehrspurigen Aufnahmen seiner eigenen Kompositionen. Der kalifornische Studio-Drummer David Crigger hatte seinerzeit Schallplatten auf den Markt gebracht ("Drum-Drops"), auf denen er komplette Songabläufe allein auf dem Schlagzeug spielt, und zwar in den verschiedensten Rhythmus-Stilen.
"Diese Stücke benutzte ich als rhythmischen Background für meine Songideen. Das war mir angenehmer als die zu der Zeit noch sehr elektronisch klingenden Drumcomputer, obwohl ich mich immer an das vorgegebene Ablaufschema der Schallplatten-Rhythmen zu halten hatte, das ja sehr klischeehaft aufgebaut ist, z.B.: Intro, zwei Strophen, Refrain, eine Strophe, Soloteil, Doppelrefrain usw.."
"Desweiteren arbeitete ich in meinem ersten Mehrspur- Studio häufig und intensiv mit einem befreundeten Saxophonisten zusammen, mit dem ich meine Stücke entwickelte. Im Rückblick muß ich sagen, daß wir dabei z.T. sehr experimentell vorgegangen sind, mit vielen Tricks, Effekten und verrückten Einfällen. Auf jeden Fall war das für uns beide sehr befruchtend, auch wenn wir danach wieder 'geradere' Wege eingeschlagen haben."

Seit 1985 arbeitet Jan Schäfer mit einer größeren Vierkanal-Bandmaschine und einem MIDI-Sequencersystem (Computer & Software). In der Peripherie stehen ihm ein Echo-Unit sowie ein kleines digitales Hallgerät zur Verfügung.
Seine Instrumente sind mittlerweile alle von rein elektronischer Art: Verschiedene Synthesizer und Expandermodule sowie ein aufwendiger Drumcomputer.
Untergebracht ist das Studio in einem speziell zu Musizierzwecken eingerichteten Raum seiner Wohnung. Hier entstehen die Demo-Versionen seiner Songs, die einerseits den Mitmusikern der Popgruppe als Anhaltspunkt dienen sollen, und die er andererseits an Plattenfirmen verschickt, um seine Musik anzubieten.

Bei der Produktion der Musik geht Schäfer meist wie folgt vor:
Im MIDI-Sequencerverfahren wird der Basic-Track mit Drummachine und mehreren Synthesizern aufgenommen. Nachdem eventuelle Korrekturen und Veränderungen erfolgt sind und der Stückablauf programmiert ist, läßt Schäfer die Musik sequencergesteuert auf zwei Tonspuren (Stereo) der Vierspur-Maschine einspielen. Auf den verbleibenden zwei Spuren kommen die Gesangsparts hinzu, die er im Playbackverfahren zum Basic-Track singt. Oder er reserviert eine Tonspur für einen Gastmusiker, der - meist mit Gitarre oder Saxophon - eine zusätzliche Begleit- oder Solo-Stimme spielt.
Letztendlich wird die Vierkanal-Aufnahme dann unter Zuhilfenahme eines Hallgerätes auf ein qualitativ gutes Cassetten-Tapedeck abgemischt. Damit ist die Produktion beendet.

Jan Schäfer stellt fest, daß sich seine Arbeitsweise seit den ersten 'MIDI-Tagen' verändert hat:

"Früher habe ich die Playbackstimmen mit den Synthesizern direkt in einem Fluß in den Sequenzer gespielt, ein nachträgliches Bearbeiten war mir einfach zu umständlich. Lieber habe ich da das Ganze mehrmals wiederholt, bis ich mit dem Take zufrieden war. Dagegen kristallisiert sich heute eine viel mehr konstruierende Vorgehensweise heraus, da ich oft weite Teile des aufgenommenen Materials neu bearbeite und in Kleinstarbeit perfektioniere. In letzter Zeit habe ich mir die vielschichtigen Editierverfahren, die einem der MIDI-Recorder anbietet, in nächtelangen Studien angeeignet und beherrsche sie mittlerweile so gut, daß ich zügig arbeiten kann, ohne zwischendurch in der Bedienungsanleitung nachsehen zu müssen. Allerdings liegt das auch daran. daß die heute verfügbaren Sequencerprogramme äußerst übersichtlich, einfach und zuverlässig zu bedienen sind, ganz im Gegensatz zu denen früherer Tage. Es ist für mich fast schon zur Selbstverständlichkeit geworden, einzelne programmierte Teile eines Songs zu kopieren und auf Knopfdruck aneinanderzufügen. Das läßt die Musik zwar schneller entstehen, jedoch habe ich den Eindruck, daß bei meinen früheren, direkt eingespielten Aufnahmen die Atmosphäre eines Songs mehr gewahrt wurde. Heute verliere ich mich zu gerne in Kleinigkeiten, will dies und jenes noch verändern und ausbessern und verliere leicht den Überblick über den großen Spannungsbogen des jeweiligen Stückes.
Doch es ist schon faszinierend, so beliebig perfekt arbeiten zu können. Die Art und Weise, mit Musik umzugehen, ist dabei eine völlig andere, als wenn ich zusammen mit meiner Gruppe spiele."


 

3. Joachim Luhrmann(249)

(36, Schlagzeuglehrer und Percussionist in Osnabrück)

Das Schlagzeugspiel begleitet Joachim Luhrmann schon seit seiner Jugend in den späten 60er Jahren. Bis in die 80er Jahre hinein war er in verschiedenen Blues- und Folkrock-Bands aktiv, machte ausgedehnte Konzerttourneen und spielte zahlreiche Schallplatten mit den jeweiligen Gruppen ein.
Doch die Zeit der kontinuierlichen Arbeit im Kollektiv wurde im letzten Jahrzehnt allmählich durch andere musikalische Einsatzweisen abgelöst: So wird Luhrmann heute für Kurz-Projekte engagiert, z.B. als Schlagzeuger für Studioaufnahmen und Konzerte anderer Musiker oder als Percussionist für Trommel- und Tanzworkshops.

Erste eigene Aufnahmen mit einem Tonbandgerät fallen in die Mitte der 70er Jahre. Luhrmann führt hierfür ein typisches Beispiel auf:

"Oft nutzte ich die Multiplay-Funktion meines Bandgerätes, um Gesangsstimme und Schlagzeugspiel zu trainieren. Dazu überspielte ich als erstes ein Stück von Schallplatte auf Tonband, meist Musik des von mir damals favorisierten Soul-Musikers Stevie Wonder. Im Playbackverfahren nahm ich dann meinen eigenen Gesang ergänzend zum Original auf, entweder parallel zur Gesangslinie Stevies', als harmonierende Zweitstimme oder in improvisierten Figuren. Unterstützt wurde das Ganze noch durch meine 'Trommeleinlagen' auf den Bongos. Durch Experimente solcher Art habe ich viel über musikalische Zusammenhänge und Timing gelernt."

1978 kaufte sich Luhrmann eine Vier-Kanal-Bandmaschine und ein elektrisches Piano und begann damit, sich ein kleines Heimstudio aufzubauen.

"Es hatte mich immer schon gereizt, ein Harmonieinstrument spielen zu können, um meine musikalische Ausdrucksmöglichkeit über das Schlagzeugspiel hinaus zu erweitern. Durch ein E-Piano konnte ich schnell und bequem an wohlklingende Klänge kommen und außerdem meinen Gesang begleiten. Das motivierte mich enorm, mein Tastenspiel auf autodidaktischem Wege weiter zu vervollkommnen. Die Mehrspurtechnik war eine Herausforderung für mich, selbstbescheidene Fingerfertigkeiten dafür zu verwenden, einfache Songharmonien auf Band zu spielen. So entstanden meine ersten Kompositionen, arrangiert für Piano, Gesang und ein paar Trommeln. Mit der Zeit wurde mein Tastenspiel versierter und die Stücke immer interessanter, auch setzte ich zunehmend einen monophonen Synthesizer ein - meist für die Baßfiguren.
Nur die Rhythmusparts klangen nicht so, wie ich sie mir vorstellte. Deshalb mußte ich mir eine Aufnahmemöglichkeit für das Schlagzeug schaffen und richtete einen Raum des Hauses als kleines Studio ein. Ohne Zeitdruck konnte ich hier nun an meiner Musik arbeiten und Demo-Aufnahmen machen."

Anfang der 80er Jahre erweiterte Joachim Luhrmann sein Homerecording-Equipment und legte sich eine Acht-Kanal- Maschine, ein großes Mischpult sowie Hall/Echo-Geräte und bessere Mikrofone zu. Als weiteres Instrument kam ein poliphoner Synthesizer hinzu, an programmierten Drum-Sounds hingegen ist der Schlagzeuger bis heute nicht interessiert:

"Wozu auch? Ich werde immer mein 'eigendynamisches' Spiel aufnehmen wollen, die Trommel ist schließlich mein persönlichstes Ausdrucksmittel. Auch kann kein Drumcomputer die klanglichen Feinheiten von Percussion-Instrumenten so wiedergeben, wie ich sie empfinde [Luhrmann besitzt eine vielfältige 'exotische' Sammlung von Percussionsinstrumenten - d.Verf.]. Jedoch verwende ich oft eine kleine Rhythmus-Maschine für den Click-Track, praktisch als Metronom. Was die Echo- und Hallgeräte betrifft, schätze ich es sehr, mit ihnen zu experimentieren, z.B. indem ich Echoschleifen herstelle oder ein Instrument extrem verhalle. Mittlerweile verfüge ich über digitale 'Raumsimulatoren', die die Qualität einer Aufnahme noch steigern können, wenn ich die Tonspuren räumlich bearbeite. Mein 8-Kanal-Studio läßt so mitunter Produktionen entstehen, die ich ohne weiteres anbieten oder verkaufen kann - vorausgesetzt natürlich, die Musik stimmt."

So finden Luhrmanns Aufnahmen bisweilen professionelle Verwendung:

* Seine selbstproduzierte instrumentale Synthesizermusik, meist mit ziemlich einfachen Melodie- und Harmonie- Strukturen, doch rhythmisch sehr vielfältig instrumentiert und arrangiert, dient der Industrie zur Untermalung von Werbefilmen.
* Fremde Bands und Solomusiker nehmen unter Luhrmanns Regie Demo-Bänder auf - gegen ein entsprechendes Entgelt. Auch die Schallplattenaufnahme eines Folk-Musikers wurde in seinem Homerecording-Studio schon eingespielt.

Nach wie vor arbeitet Joachim Luhrmann zu Hause an Produktionen eigener Song-Kompositionen:
"Das Studio ist ein wichtiger Teil meiner musikalischen Ausdrucksmöglichkeit. Oft sind die Stücke reine Stimmungsbilder, die ich auf Band umsetze, ohne weiteres Verwendungsziel. Neuerdings setze ich bei den Aufnahmen auch einen Hardware-Sequencer ein, der einen Synthesizer steuert. Jedoch benutze ich ihn nicht als ergänzendes Aufnahmegerät, sondern meist für kleine Sequenzen, die ich per Hand nicht spielen könnte, wie schnell repetierende Ostinato-Figuren o.ä.."

Luhrmanns jüngste Errungenschaft ist ein "Exciter"(250), der den Abmischungen noch den "letzten Glanz" verleiht.
"Eigentlich habe ich ein sehr widersprüchliches Verhältnis zu den sauberen und glatten Produktionsweisen, ich vermisse oft den rauhen, ungeschliffenen Sound, wie er typisch für gute Rockmusik ist. Manchmal versuche ich, mit den Synthesizern einen 'dreckigen' Klang zu erzielen, indem ich sie über Röhrenverstärker oder Verzerrer schicke, oder ich lade einen E-Gitarristen in mein Studio ein, der durch sein Spiel meinen Aufnahmen einen entsprechenden Charakter verleiht. Doch beim Abmischvorgang reizt es mich dagegen wieder, die Musik in klanglicher Ausgewogenheit und Klarheit erscheinen zu lassen und bearbeite die Spuren neben den Halleffekten noch mit meinem 'Schönmacher', dem Exciter."

Joachim Luhrmann sieht, wie die Grenze zum professionellen Studio allmählich verwischt und hofft darauf, einmal als Produzent und Tonmeister seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.


 

4. Mike Lindinger(251)

(28, Musiker in Freiburg)

Mike Lindinger, Pianist und elektronischer Keyboarder, spielt seit über 5 Jahren professionelle Tanzmusik in kleinen Combos oder als 'Einmann-Band'. Das berufliche Musizieren trennt er klar von seiner Leidenschaft, Jazzmusik zu komponieren und zu arrangieren. Zwar probt er gelegentlich seine eigenen Werke mit anderen Musikern ein, doch soll das Zusammenspiel den Beteiligten nur private Freude bringen.
"Meine eigene Musik will ich nicht den Zwängen des Musik-Business unterwerfen!"

Erste Erfahrungen mit Homerecording in Mehrspurtechnik machte Lindinger 1981, als er sich ein Portastudio anschaffte, das gerade neu auf den Markt gekommen war. Zu dieser Zeit arbeitete er als Fachverkäufer und Instrumentenvorführer in einem Orgel- und Klavier- Geschäft:
"Endlich hatte ich die Möglichkeit, die Musik, die mir schon immer im Kopf schwebte, in einer Aufnahme herauszubringen. Das war wie ein Ventil, das sich öffnet. An meinem Arbeitsplatz hatte ich alle Instrumente, die ich brauchte, zur freien Verfügung und konnte nach Geschäftsschluß bis in die Nacht spielen, komponieren und aufnehmen. Als Hauptinstrument verwendete ich eine große '50.000 Marks-Orgel', die mir vielfältige orchestrale Sounds in allen nur erdenklichen Kombinationen lieferte. Die eingebaute Rhythmusmaschine ließ ich meistens mitlaufen, den Baß spielte ich auf dem Fußregister. Ein solches, schon erstaunlich komplex arrangiertes Klanggebilde spielte ich dann in einem Durchgang auf zwei Spuren des Portastudios ein. Auf die anderen Spuren kam dann entweder eine weitere Orgel, ein Klavier oder meine Gesangsstimme. Das ganze im Zusammenhang hinterher hören zu können, war für mich eine äußerst berauschende Erfahrung."

Seit 1985 arbeitet Lindinger fast ausschließlich mit einem mehrspurigen Sequencer:
"Ich habe mich damals für einen Hardware-Sequencer entschieden, der angeblich in Live-Situationen zuverlässiger funktionieren soll als ein Computer. Bei den Tanz- Jobs liefert mir das Gerät Baß- und harmonische Begleitfiguren, in manchen Fällen steuere ich auch einen Drumcomputer an. Daß ich zu Hause vorher die Songs einprogrammieren kann, stellt sich als enorme Arbeiterleichterung und praktische Arrangierhilfe dar. Schnell sind einzelne Teile eines Stückes kopiert und verkettet sowie bestimmte Sounds in der Abfolge einprogrammiert, Timing- Schwankungen werden durch Quantisierung begradigt.
Dagegen verbringe ich oft viel Zeit damit, bei der nachträglichen Bearbeitung der Stimmen an den Grooves zu experimentieren, z.B. wirken Synkopen 'schärfer', wenn ich sie leicht vorziehe, oder ich lasse ich die Baßtöne minimal verzögert zur Bassdrum erklingen, dann erscheint der Groove einfach druckvoller. Eine allgemein beliebte Sache ist es auch, den Snare-Schlag ein paar Millisekunden später einsetzen zu lassen, um ein 'Laid-Back- Feeling' zu erreichen."

Für Lindingers Eigenkompositionen fungiert der MIDI- Recorder lediglich als Gedächtnisstütze, die Kompositionen werden in 'real-time' eingespielt und bleiben meistens unquantisiert. Er verzichtet auch auf differenzierte klangliche und räumliche Nachbearbeitung:
"Ich benutze das Hallgerät nur, um die Instrumentenklänge etwas transparenter zu machen, damit das Spielen selbst angenehmer für das Ohr wird."

Die Aufnahmen seiner Stücke legt er im Archiv ab, nach Belieben kann später daran weitergearbeitet werden - hauptsächlich in Form und Arrangement:

"Klanglich ausgefeilte Demos entstehen eigentlich nie. Z.B. habe ich früher äußerst ungern das Ping-Pong- Verfahren eingesetzt, um mehr Stimmen auf Band zu bekommen, da die Klangqualität dabei für meine Begriffe erheblich leidet, der Druck läßt einfach nach. Durch Sequencerarbeit wird dieses Problem ja prinzipiell ausgeschaltet, nur müßte ich zur Verwirklichung guter Aufnahmen eine '1A'-Mastermaschine und bessere Peripheriegeräte haben. Auch brauchte ich mehr Expander-Module, um die Stimmen einzeln belegen zu können.
Doch kommt es mir letztendlich nicht auf solche Produktionen an. Was meine Musik betrifft, sehe ich mich mehr als Tonsetzer, weniger als Interpret. Ich warte auf die Zeit, wo es wirklich gute, ausgereifte Notendruckprogramme für Computer gibt. Dann werde ich meine Kompositionen und Arrangements ausdrucken lassen und das Notenmaterial Verlagen anbieten. Das ist mein Fernziel und ich denke, ich befinde mich schon auf dem richtigen Weg - ich habe es dabei überhaupt nicht eilig."


 

5. Ulrich Frankenberg(252)

(31, Musiker und Gymnasiallehrer in Oldenburg)

Ulrich Frankenberg ist schon seit Anfang der 70er Jahre als Schlagzeuger in Jazz- und Rockbands aktiv, abgesehen von einigen kurzen 'semiprofessionellen Zeiten', vorwiegend als Amateur.

Doch seit ca. vier Jahren ist es für ihn schwierig geworden, Mitmusiker zu finden, um zusammen als Band eine intensive musikalische Arbeit zu verfolgen:

"Auf meinem bisherigen Weg hat sich für mich ein Musik- Stil und eine Einstellung dazu entwickelt, die ich nur mit sehr wenigen anderen Musikern teilen kann. Ich habe gemerkt, daß gerade die Leute in meinem Alter sich entweder mehr und mehr aus der aktiven Musikszene zurückziehen oder sich auf sehr individuelle Spielarten spezialisieren, so wie ich z.B. auch. Da ich nun an eine Stadt gebunden bin und nicht weiter 'ausschwärme', um gleichgesinnte Leute zu finden, bleibt mir momentan nichts anderes übrig, als mit mir selbst zu spielen."

Aus diesem Grund beschäftigt sich Frankenberg seit 1984 in seinem Heimstudio, das aus einem Portastudio, mehreren Hall- und Echogeräten sowie einer Abhöranlage besteht. Um Musikaufnahmen neben dem rhythmischen Spiel auch harmonisch und melodisch gestalten zu können, hat er sich die Grundlagen einiger Instrumente angeeignet. Der Umgang mit Gitarre, Saxophon und poliphonem Synthesizer ermöglicht ihm zugleich, Musik einmal von einer anderen Warte aus begreifen zu lernen.

"Im Grunde strebe ich eine sehr einfach aufgebaute Musik an, die viel Raum für das improvisierte, freie Spiel läßt. Mit dem Portastudio komponiere ich eigentlich keine Stücke, sondern ich spiele einfache Grundsequenzen, verschiedene Akkorde - meist lang ausgehalten und sich wiederholend - sowie sehr sparsame Drumcomputer-Patterns auf die Tonspuren ein. Abgesehen davon, daß ich kompliziertere Sachen aufgrund meiner technischen Fertigkeiten nicht realisieren könnte, liebe ich diese Art von monotoner, meditativer Musik. Zu diesen fließenden Klängen vom Band improvisiere ich mit verschiedenen Instrumenten, meistens mit Gitarre und Schlagzeug."

"Da ich in unserer Mietwohnung wirklich nur sehr leise musizieren kann, gerade zur Abend- und Nachtzeit, habe ich mir ein spezielles Rhythmus-Set zusammengebastelt: Über anschlagdynamische Pads, wie man sie von elektronischen Schlagzeugen her kennt, sowie selbstgebauten Schlagkörpern, die mit Kontaktmikrofonen ausgerüstet sind, steuere ich auf MIDI-Basis beliebige Klänge des Drumcomputers an. So kann ich das eigene Schlagzeugspiel zu den Portastudio-Aufnahmen mischen und mache auf diese Weise meine Musik."

Effektgeräte haben für Frankenberg eine große Bedeutung:
"Neben Phaser, Flangern und Verzerrern experimentiere ich besonders gern mit Echo- und Hallgeräten. Ich versuche, künstliche Räume zu schaffen, die eine charakteristische Atmosphäre haben, um die Klänge speziell wirken lassen zu können. Meine Musik tendiert ja mehr in Richtung 'Räumlichkeit' und ist weniger melodiös."

Nach wie vor strebt es Ulrich Frankenberg an, mit gleichgesinnten Musikern in einer Gruppe zu spielen und zu konzertieren. Er sieht die Arbeit im Heimstudio als eine Übergangszeit an, in der er zweifelsohne eine Menge für sich selbst lernen und erfahren kann.
"Homerecording ist für mich bittere Notwendigkeit, um überhaupt noch Musik zu machen. Momentan sehe ich dazu keine Alternative."


 

6. Christoph Oertel(253)

(28, Musiker und Filmmusikkomponist in Berlin)

Christoph Oertels musikalische Laufbahn begann Mitte der 70er Jahre. Gitarre, Baß und sein Hauptinstrument, das Schlagzeug, lernte er auf autodidaktischem Wege, aktiv musikalisch tätig war er zumeist in der Gruppe, z.B. in Rock-, Jazz- und Reggaebands.

Nachdem er bei einem befreundeten Musiker die Arbeit im Heimstudio kennengelernt hatte und dort viele 4- Spur-Aufnahmen unter seiner Mitwirkung entstanden waren, nahm seit 1983 der schrittweise Aufbau eines eigenen Studios seinen Anfang:

"Der Beginn des Homerecording fiel in eine Zeit, als ich mich musikalisch neu orientieren und mehr melodische und harmonische Aspekte der Musik lernen wollte. Als neues Instrument hatte ich mir Anfang der 80er Jahre ein Klavier angeschafft und darauf im Selbststudium schon einige Fortschritte erzielt. Neben der akustischen Gitarre war es ein wichtiges Instrument für mich geworden, um allein zu Hause zu spielen und auch kleine Lieder zu komponieren. Mit dem Portastudio konnte ich solche Stücke aufnehmen und sie auf den verbleibenden Tonspuren durch andere Instrumente oder Gesangsstimmen erweitern.
Dabei arbeitete ich meistens mit Freunden zusammen, mit Musikern wie auch mit Leuten, die keine instrumentale Erfahrung, jedoch Ideen und musikalisches 'Feeling' besaßen. Es wurde damals sehr viel experimentiert: Wir benutzten neben Gitarren, Bässen und Klavier ziemlich außergewöhnliche Musikinstrumente wie Saz(254), Kazoo, Kalimba, Maultrommel usw. oder auch Geige, Mundharmonika, Blockflöte, Melodika und die verschiedensten Percussion-Instrumente. Die Schlagzeugfunktion übernahm gelegentlich ein einfaches elektronisches Rhythmusgerät oder Rhythmustracks von einer Schallplatte[255]. Neben 'abenteuerlichen' Klangmischungen entstanden bisweilen äußerst unkonventionelle Aufnahmeweisen:

Einzelne Gesangspassagen wurden unter der Bettdecke, in der Besenkammer oder im Hausflur realisiert, manche Tonspuren nahmen wir rückwärts auf Band auf, wir spielten häufig mit dem Effekt der veränderten Bandgeschwindigkeit, machten vom Ping-Pong-Verfahren regen Gebrauch und Vieles, Vieles mehr. Ich könnte gar nicht alles aufzählen, jedenfalls sind wir an Musikaufnahmen herangegangen wie unschuldige Kinder.
Bearbeitet habe ich solche Stücke oft mit einem Echogerät, z.B indem ich die Wiederholungen der Klänge dem jeweiligen Song rhythmisch anpaßte oder die Abmischungen in der Anlehnung an jamaicanische Dub-Techniken[256] gestaltete."

Oertels frühe Homerecording-Produkte lassen sich zwei unterschiedlichen Verwendungsbereichen zuordnen:

1. Musikalische Ideen wurden mit Hilfe des Portastudios instrumentiert, arrangiert und nach einem bestimmten Ablaufschema ausgeführt. Diese Aufnahmen dienten Oertels Rock- und später der Reggaeband als Vorgabe zur livemusikalischen Umsetzung.
2. Andere konservierte Werke spiegelten die Stimmung eines Tages, an dem eine Homerecording-Session stattfand, wider, oder sie waren Ausdruck eines bestimmten Gefühls, das in Musik umgesetzt wurde - ohne einen vorher geplanten, weiteren Verwendungszweck. Solche Aufnahmen sind fertige Kunstwerke, die für sich stehen.

Mit der Zeit setzte sich Christoph Oertel intensiv mit der Beschaffenheit von Klängen auseinander, drang tiefer in ihr Wesen ein und gelangte so zu einem ihm neuen Musikverständnis und damit zu einer eigenständigen Ausdrucksform.

"Die von der Industrie angebotenen Klänge von Synthesizern und Drumcomputern begannen mich zu langweilen, ja mein Nervenkostüm zu zerrütten. Das ist akustischer Müll! Mich interessiert der vorgebliche Müll, also im Alltag gesammelte Klänge und Geräusche, die ich durch Auswahl, Mischung, Verfremdung und Bearbeitung versuche zu 'veredeln' und so zu musikalisch wertvollen Klängen 'aufzubereiten'. Ich sehe mich quasi als akustischen Alchimisten, oder anders gesagt: Homerecording ist für mich eine Fortsetzung der 'Musique Concrete' im digitalen Zeitalter. Mich sprach z.B. die Eigenqualität eines sich immer wiederholenden Klanges an, wie z.B. ein 'Hänger' auf einer Schallplatte, oder ich verfolgte die klangliche Entwicklung eines Tonsignals, das über ein Bandecho-Gerät geschickt wird, und mit zunehmenden Wiederholungen immer dumpfer, verzerrter, verfremdeter und so auch eigenständiger wird. Solche Klänge benutzte ich als Ausgangsmaterial für experimentelle Musikstücke, nahm sie auf Band auf, ergänzte sie durch weitere Instrumente und komponierte praktisch somit direkt auf das Portastudio. Die Möglichkeit der Korrektur oder der nachträglichen Veränderung war ja immer gegeben, so daß die Musik bis zu ihrer endgültigen Form heranreifen konnte."

Christoph Oertel vertonte Mitte der 80er Jahre mehrere Experimentalfilme mit der von ihm produzierten Homerecording-Musik und schuf mit Hilfe des Portastudios Klangkompositionen, die von 'Avantgarde-Ensembles' live bei Konzerten oder Klanginstallationen aufgeführt wurden.

Seit zwei Jahren arbeitet er zunehmend mit elektronischen Klangspeicher- und Klangbearbeitungsgeräten, z.B. mit Sound-Samplern, digitalen Hallgeräten und Mischpulten. Neben dem Portastudio verwendet er einen Computer, der anhand eines Sequencerprogramms als zusätzliche Aufnahmemaschine fungiert. Phantasievolle, experimentelle Arbeitsweisen haben sich bis heute erhalten, Oertel überträgt sie heute neben seinen alten Methoden auch auf den Umgang mit digitalen Geräten.

"Bei mir hat sich das Interesse herauskristallisiert, die Technik artfremd zu benutzen. Ich 'vergewaltige' die Geräte, lasse sie nicht normal funktionieren und reize sie aus. So gelange ich in Grenzbereiche, die sich für mich oft als faszinierend und eigenständig darstellen. Auch bei der Arbeit mit dem Sequencer oder beim Experimentieren mit Drumcomputern oder digitalen Hallgeräten ergeben sich klangliche 'Zufälle', die ich bei Homerecording-Aufnahmen verwende, sie weiterverarbeite, ergänze und das Ganze zu einem End-Produkt gestalte. Ich möchte hierfür einmal kurz ein Beispiel aufzeigen:

Um einen außergewöhnlichen, geheimnisvollen und irritierenden Klang zu erreichen, den ich für eine Theaterproduktion brauchte, experimentierte ich mit einem Drumcomputer und einem Hallgerät. Ein programmiertes Rhythmus-Pattern bearbeitete ich mit einer extrem langen Halleinstellung, zeichnete jedoch nur das Effektsignal auf, das Originalsignal war also nicht hörbar. Dadurch, daß die kurzen, percussiven Klänge im Hall verschwommen und ineinander übergriffen, entstand eine Art sich bewegender Klang, den ich durch Filtrierung am Mischpult noch soweit beeinflussen konnte, bis ich den Klangcharakter akzeptierte und so das gewünschte Ergebnis erhielt.
Der Sampler bietet mir ebenfalls Möglichkeiten an, in einen Klang 'hineinzugehen' und ihn zu formen, z.B. um eine bestimmte Obertonstruktur herauszubilden. Hierbei arbeite ich meist mit selbst erstellten Samples von akustischen Klangereignissen."

Das Portastudio dient Christoph Oertel mittlerweile nur noch zum Festhalten von experimentellen Vorarbeiten einer Komposition. Akustische Instrumente und Stimmen können damit aufgezeichnet werden, für Sampler und andere MIDI-fähige Klangerzeuger zieht er heute meistens den Sequencer heran. Soll die Musik für professionelle Zwecke verwendet werden, muß er aus Qualitätsgründen in einem besseren Studio als dem eigenen produzieren.

"Ich hoffe, mir bald eine gute Mastermaschine leisten zu können, vielleicht sogar einen DAT-Recorder. Bei ausschließlicher Arbeit mit MIDI-Instrumenten und -geräten könnte ich dann die Musik bis zum Endprodukt in Ruhe zu Hause erstellen.
Bei Kompositionen für akustische Instrumente benutze ich Sampler und Sequencer zur Erstellung von Demos. Mit Hilfe der digital gespeicherten Echtklänge, die in umfangreichen 'Sound-Libraries' der Hersteller angeboten werden, entstehen Vorlagen, die für Produktionen mit 'echten' Musikern im professionellen Studio dienen."


 

7. Thilo von Westernhagen(257)

(38, Musiker und Komponist in Preetz bei Kiel)

Der Pianist Thilo von Westernhagen ist seit Mitte der 70er Jahre professioneller Musiker. Stilistisch bewegt er sich im Bereich des melodiösen Jazz und Jazzrock, dabei sind Einflüsse traditioneller Musikformen - von der Gregorianik bis zur Romantik - nicht zu verleugnen. Westernhagen tritt solo auf, spielt in für Konzerttourneen zusammengestellte Bands und bringt seit über zehn Jahren Schallplatten unter seinem Namen heraus, dabei handelt es sich immer um Eigenkompositionen. Seit den 80er Jahren vermehren sich Angebote und Aufträge, Film- und Fersehmusiken zu schreiben und zu produzieren.

"Die ersten Aufnahmen meines Piano-Spiels, die ich mit einem einfachen Tonbandgerät gemacht habe, sowie die simplen Multiplay-Versuche waren damals eine entscheidende neue persönliche Erfahrung, die mich tief bewegt hat. Ich konnte gespielte Musik fixieren und reproduzieren und mich dadurch kontrollieren. Durch diese Möglichkeit des Feedbacks ist das eigene Komponieren auf jeden Fall forciert worden."

Erste Bekanntschaft mit der Studiotechnik im allgemeinen machte Westernhagen bei Schallplatteneinspielungen in professionellen Tonstudios, und er wollte die kreative Arbeit mit Mehrspurtechnik, Mischpult und Effektgeräten nach Hause übertragen, um selbst damit zu experimentieren. So kaufte er sich eine 4-Kanal-Bandmaschine samt nötigem Zubehör und begann zusammen mit einem befreundeten Studiomusiker, eigene Musikstücke im Homerecording-Verfahren aufzunehmen.

"Von meinem Partner, der damals schon sehr versiert im Umgang mit dem Aufnahmeequipment war, konnte ich eine Menge lernen. Wir experimentierten sehr viel mit der Vier-Kanal-Technik, mit Effektgeräten, und nutzten die verschiedenen akustischen Möglichkeiten des Hauses aus. Doch hauptsächlich bedeutete Homerecording für mich, Ideen aufbereiten und weiterentwickeln zu können, die später dann solo oder in der Band verwirklicht, aufgeführt und auf Platte eingespielt wurden. Eigentlich machte mir die Arbeit mit dem 4-Kanal-Gerät keinen richtigen Spaß, denn mein Equipment war einfach zu schlecht, besonders für qualitativ gute Aufnahmen mit dem Flügel, meinem Hauptinstrument. Das lag vor allem an fehlenden guten Mikrofonen, die für eine akzeptable Abnahme des Flügelklangs unvermeidlich sind. Hinzu kam ein anderes Problem:

Meine Auftraggeber für Filmmusik, meist Sendeanstalten, wollten von mir fertiggestellte Masterbänder haben - die Produktion der Musik wird nämlich von ihnen nicht finanziert. Um nun aus Kostengründen diese Arbeit zu Hause verrichten zu können, brauchte ich auf jeden Fall mehr als nur vier Spuren; außerdem mußte die Tonqualität einem gewissen Standard genügen."

Nicht zuletzt aus diesem Grund richtete sich Thilo von Westernhagen zu Beginn der 80er Jahre in seiner Wohnung ein kleines 8-Kanal-Studio ein, mit entsprechend größerer Bandmaschine, Mastermaschine, Mischpult, erstklassigen Mikrofonen, Hall- und Echo-Geräten sowie vielen kleinen effektiven Accessoires. Nun konnte er anspruchsvolle Demos für weiterreichende Verwendungszwecke erstellen, mit klanglichen und räumlichen Bearbeitungen experimentieren und eben komplette Filmmusiken produzieren. "Für die Filmmusiken reichen mir acht Spuren aus, da ich kein Schlagzeug verwende, das normalerweise mindestens vier Tonspuren 'verschlingt'. Seit jeher arbeite ich mit Gastmusikern: mit Gitarristen, Bassisten, Bläsern und sogar mit Streichquartetten für den authentischen Streichersound. Ich selbst bediene die Tasteninstrumente - vom Flügel bis zum Synthesizer - und spiele einzelne Parts auf Vibraphonen, Marimbaphonen oder verschiedenen Percussion-Instrumenten ein."

Es ist bei Westernhagen eine Frage der Musizierform, welche Aufnahmemethode er jeweils bevorzugt: "Handelt es sich um mehr improvisierte Musik, wie bei Jazz-Stücken in der Band oder solo am Flügel, übertrage ich die Aufnahme-Leitung lieber einem erfahrenen Toningenieur. So ist man als Musiker freier, da man sich um den ganzen technischen Kram nicht zu kümmern braucht. Notierte Vorgaben, z.B. ausgeschriebene Themen oder festgelegte Ablaufschemen, bleiben 'mit ihren Irrtümern' eher stehen als bei Homerecording-Aufnahmen. Wenn Veränderungen vorgenommen werden, geschieht das in Gruppenarbeit: Verbale und musikalische Kommunikation der Musiker untereinander läßt die Musik entstehen.
Dagegen arbeite ich bei Homerecording-Aufnahmen, besonders bei Filmmusiken, gezielt auf eine Aussage hin. Änderungen, die ich vornehmen möchte, brauche ich dabei anderen Musikern nicht zu erklären, da mir selbst das Konzept bekannt ist und ich so nach Herzenslust probieren, ausbessern und die Musik formen kann. Das spart einfach enorm viel Zeit, obwohl der Dialog, die Reibung mit anderen Musikern natürlich fehlt. Es passieren keine Überraschungen von außen, was mitunter eine gewisse Glätte oder Eingleisigkeit zur Folge hat."

Im Laufe der 80er Jahre bezog Westernhagen immer mehr elektronische Instrumente und Geräte in sein Homerecording-Equipment mit ein. So arbeitet er mittlerweile mit poliphonen Synthesizern, einem Sound-Sampler, digitalen Hall- und Echogeräten, Transposer- und Excitereffekten sowie gelegentlich mit Drumcomputer-Klängen und sequencergesteuerten Figuren:
"Synthesizer- und Samplersounds betrachte ich vorwiegend als Erweiterung der Klangpalette. Ich bin nicht an Imitationen herkömmlicher Instrumente interessiert, sondern mich reizt die Unverbrauchtheit eines Klanges, den ich auf solchen elektronischen Geräten finden oder entwickeln kann. Meistens verwende ich Presetsounds, selten programmiere ich einzelne Klangparameter um - das ist mir einfach zu zeitaufwendig, da ich zuwenig über die interne Funktionsweise der Geräte Bescheid weiß. Eher gehe ich spontan und spielerisch an Klänge heran, die ich vorfinde, kombiniere sie - z.B. über MIDI - mit anderen und forme sie gern durch den Einsatz von Effektgeräten und der Filter am Mischpult - meist nach dem Zufallsprinzip. Im Grunde gehe ich dabei sehr naiv vor, spiele an den Drehknöpfen und liebe es, auf Unerwartetes, nicht Vorhersehbares zu stoßen.
Dieses spontane Vorgehen gilt übrigens für meine Homerecording-Arbeit allgemein, abgesehen von einigen wenigen, streng nach einem Plan realisierten Stücken. Erste spannende Momente, die sich beim Probieren ergeben, sind Anregung und Ausgangspunkt zugleich für eine Komposition - die Musik entsteht während der Aufnahme selbst."

Das Hallgerät mit seiner Fähigkeit, Raumillusionen zu schaffen, hält Westernhagen für das wichtigste periphere Gerät in seinem Heimstudio:
"Raum vermittelt emotionale Inhalte! Jedes Instrument braucht seinen speziellen Raum, um sich richtig entfalten zu können. Z.B. muß der Flügel einen großen Raum haben, vielleicht auch von der Hörgewohnheit her. Mit dem Hallgerät kriege ich ihn aus meinem Wohnzimmer 'raus. Ich kann ihn sogar in Räume 'stellen', die es gar nicht gibt, und: Ich kann verschiedene Räume ineinander schachteln und dadurch Labyrinthe schaffen. Hall- wie auch Echogeräte haben noch andere Vorzüge: Sie lassen sich - extrem eingesetzt - als Stilmittel und - zart eingesetzt - zur Abrundung des Klangbildes verwenden. So stellt sich für mich die Möglichkeit der Raumsimulation - neben guten Mikrofonen und Bandgeräten - als Grundvoraussetzung für professionell klingende Homerecording-Aufnahmen dar."

Klangsteuernde Geräte wie Sequencer und Drumcomputer setzt Westernhagen sehr selten ein. Er läßt den Sequencer gelegentlich kleine ostinate Figuren auf einem Synthesizer steuern; vom Drumcomputer benutzt er die Klänge, "nur um kleine Punkte zu setzen", der Ablauf programmierter Patterns interessiert ihn nicht.

"Nie würde ich mein Tastenspiel vom Sequencer korrigieren oder quantisieren lassen, Unebenheiten und kleine Fehler will ich mit in die Aufnahme 'reinbringen, sie sind Bestandteil meines Feelings und meines Ausdrucks. Das schrittweise Vorgehen beim Programmieren, z.B. das Zusammenstückeln von Songs, liegt mir nicht. Bei direkten Aufnahmen, die in einem Durchgang laufen, wird der Spielfluß gewahrt. Ich halte das für sehr wichtig."

Grundsätzlich betrachtet Thilo von Westernhagen sein Homerecording-Equipment als "Erweiterung und Hilfsmittel in jeder Form". Es kann Zeit und Kosten sparen und macht oft andere Musiker überflüssig: Das Heimstudio als bequeme technische Hilfe. Eine musikalisch-inhaltliche Bereicherung sieht er vor allem im klanglichen Experimentieren:
"Ich finde es sehr interessant, auszuprobieren, wie man auf bestimmte Klänge reagiert und mit ihnen umgeht."


 

8. Hubertus von Puttkamer(258)

(50, Musiker und Professor für Laser-Physik in Berlin)

Hubertus von Puttkamer spielte bis zum Ende seiner Studienzeit Gitarre in Tanzmusik- und Jazz-Formationen. Während seiner Promotionsphase konnte er rein zeitlich nicht mehr weiter Musik machen und hatte zudem das Gefühl, sich "sattgespielt" zu haben.

Als er um 1970 die Elektronik-Bands AGITATION FREE, TANGERINE DREAM und SUN RA hörte und auch persönlich kennenlernte, wurde er zum ersten Mal mit dem Klang des Synthesizers konfrontiert:
"Diese Musiker wirkten auf mich wie ein Donnerschlag. Der Synthesizer-Klang hat bei mir Türen aufgestoßen!"

Das Interesse an Musik war geweckt worden wie nie zuvor, und bald danach experimentierte Puttkamer zu Hause mit einem eigenen kleinen Synthesizer. Sein wissenschaftlicher Drang warf dabei viele Fragen auf ("Wie kommt das? Wie kann's denn sein?"), die er zu beantworten versuchte, indem er sich über verfügbare Literatur ein Fachwissen aneignete, um elektronische Musik systematisch verstehen zu lernen.

"Neben dem analytischen Vorgehen beim Experimentieren kamen oft Situationen, wo ich mich an einem Klang regelrecht 'besoff', mich durch ihn verführen und weitertreiben ließ und dabei eine gute Zeit hatte. Ich entwickelte also sowohl auf systematischem als auch auf spielerischem Wege meine Klänge. Der Synthesizer wurde zu meinem persönlichen Instrumentarium, nicht etwa um mich emotional auszudrücken - da greife ich nach wie vor lieber zur Gitarre - , sondern um 'Soundlandschaften zu erobern' - aus gespannter Neugierde heraus. Ich hatte durch den Synthesizer endlich ein für mich erschwingliches Mittel gefunden, die 'Klangfarbenmelodie' - wie Schönberg es so schön sagte - zu erforschen. Die herkömmlichen Postulate der Musik, wie Melodie, Harmonie und Rhythmus, habe ich immer für weniger wichtig erachtet."

In den 70er Jahren begann Puttkamer mit Hilfe der Mehrspurtechnik "Klangatmosphären" zu komponieren und aufzunehmen. Auf einer Vier-Kanal-Maschine erstellte er u.a. Musik, die speziell für Austellungen in Galerien oder für Experimentalfilme konzipiert war. Dabei wurden die im Homerecording-Verfahren produzierten Tonbänder als Endprodukt verwendet.

Mittlerweile arbeitet Puttkamer mit einer Acht- Kanal-Bandmaschine nebst einem Computer-Sequencer. Zur klanglichen Bearbeitung stehen ihm ein Mischpult, Equalizer, digitale Hallgeräte und einige andere Effekte zur Verfügung.

Das elektronische Instrumentarium hat sich mit den Jahren ebenfalls erweitert: Poliphone Synthesizer und ein Sound-Sampler kamen hinzu:
"Neben den modular aufgebaute Synthesizern der ersten Generation interessierte ich mich besonders für neue Geräte mit wesentlich komplexeren Wellenformen. Der Sampler schließlich stellt die 'Krönung' dar: Prinzipiell jede beliebige Schwingung wird zur Bearbeitung frei, alle Möglichkeiten sind offen."

"Bei der Realisierung eines Klanges gehe ich oft unterschiedliche Wege: Manche phantastischen Klangvorstellungen erreiche ich durch Probieren, indem ich mich einfach treiben lasse, oder auch, indem ich serielle Zahlenkombinationen einprogrammiere und mir dann anhöre, wie es eigentlich klingt. Ein anderer Weg ist, daß ich bewußt und systematisch einzelne Klangparameter verändere. Oder ich verfremde Naturklänge, transponiere sie, forme sie auf ein bestimmtes Ziel hin. Oft habe ich jedoch keine Komposition im Kopf und deswegen auch keinen speziellen Verwendungszweck. In diesem Fall archiviere ich die Sounds, produziere sie praktisch 'auf Halde'. Zu einem späteren Zeitpunkt, wenn ich an einem Musik-Stück arbeite, kann ich dann auf gesammeltes Material zurückgreifen. Das Aufnahmeequipment dient also nicht nur zum Komponieren, sondern auch zum Festhalten gespielter Klänge oder Klangabfolgen."

Hubertus von Puttkamer sieht sich als "... Wanderer zwischen zwei Welten, der für den reinen Musiker zu unbegabt ist und für den reinen Techniker zuviele 'Flausen' hat."
"Eigentlich bin ich ein 'Nichtmusiker', dem es durch die Mehrspurtechnik und Spielhilfen wie Sequencer und Arpeggiator ermöglicht wird, Musik zu realisieren. Der Synthesizer ist dafür als Instrument wie geschaffen für mich, ich sehe darin genau diesen Schnittpunkt zwischen meiner Kreativität und meinem technischen Know-how."

In seinem Heimstudio arbeitet Puttkamer allein. Wenn er Lust hat, zu spielen oder zu experimentieren, kann er das zu beliebiger Zeit tun, ohne auf Mitmusiker angewiesen zu sein.
"Die Homerecording-Technik erspart mir Frustrationen, den Druck von außen. Ich kann spielen, wie, was, und wann ich will. Zwar erlebe ich keine fremden Impulse, wie z.B. musikalische Überraschungen von Mitspielern, doch ich bin mir selbst genug."

"In den letzten Jahren habe ich in meinem Heimstudio zwei Tonband-Werke komponiert, die als Performance aufgeführt wurden. Dabei spielte ich zusammen mit einem anderen Musiker live dazu, um die Musik durch Improvisiertes zu ergänzen. In diesen Situationen fand die Rückkoppelung mit Äußerem statt: Mit dem Mitmusiker und dem Publikum. Doch das sind Ausnahmen, denn in der Regel spiele ich alleine für mich. Und: Beim Homerecording zählt für mich nicht nur das Produkt, sondern auch, wie es zustande kam."



 

B. Auswertung

In diesem Kapitel soll versucht werden, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der acht vorgestellten Homerecordisten aufzuzeigen, eventuelle Tendenzen festzustellen sowie mögliche Typisierungen einzelner Personen oder Personengruppen vorzunehmen.
Untersucht werden dabei folgende Gegebenheiten:

1. Die frühmusikalische Ausbildung, aufnahmetechnisches Vorwissen
2. Das Erlernen weiterer Instrumente durch Homerecording
3. Die Entwicklung von Musikaufnahmen und typische Arbeitsweisen
4. Die Funktion der Homerecording-Musik und der Zweck der Heimstudio-Aufnahmen
5. Die Auswirkungen des Homerecording auf das Musikerdasein der Personen (Das Verhältnis von Studioarbeit und Live- Musizieren, durch Homerecording hervorgerufene neue Herangehens- und Spielweisen bei der Verwirklichung von Musik).


 

1. Frühmusikalische Ausbildung, aufnahmetechnisches Vorwissen

Beim Vergleich der acht Homerecordisten miteinander kann man deutlich zwei Gruppierungen unterscheiden:

a)  Die erste Gruppe besteht aus vier Musikern (Günther, Lindinger, Schäfer und Westernhagen), die instrumental nach klassischer Schule ausgebildet worden sind - sie werden nachfolgend auch 'Notisten' genannt. Ihre frühmusikalische Ausbildung hat technische Fertigkeiten geschaffen, musikalische Spiel- und Hörerfahrungen vermittelt und stellt eine entscheidende Grundlage für ihr musikalisches Tun dar. Auch wenn sich diese Personen mittlerweile in Jazz- oder Popbereichen bewegen, ist der Einfluß ihrer ersten musikalischen Phase auf die derzeitige mehr oder weniger stark vorhanden. Alle Musiker (3 Pianisten, 1 Gitarrist) behielten das anfangs erlernte Instrument bis heute als Hauptinstrument bei, der Umgang mit Synthesizern und E-Gitarren z.B. ist durch 'klassische' Spielweisen und -techniken auf Klavier bzw. akustischer Gitarre geprägt.

b)  Die zweite Gruppe, die in der Untersuchung ebenfalls von vier Musikern gebildet wird (Luhrmann, Frankenberg, Oertel und Puttkamer), besteht aus reinen 'Autodidakten'. Im musikpraktischen Sinne sind sie nicht mit traditioneller Musik aufgewachsen oder instrumental ausgebildet worden, sondern haben ihr Instrument hauptsächlich im Selbstudium gelernt, motiviert und geprägt von populären Musikformen sowie mit dem Ziel, in Rock- oder Jazzbands spielen zu können. Diese Gruppe umfaßt 3 Schlagzeuger und einen Gitarristen.

Was aufnahmetechnisches Wissen und Können anbelangt, sind alle aufgeführten Homerecordisten grundsätzlich Laien gewesen, bevor sie sich mit Beginn ihrer aktiven Heimstudio-Zeit nach und nach das notwendige Studio- Know-How angeeignet haben: Entweder anhand von Fachliteratur, durch eigenes Probieren oder im Erfahrungsaustausch mit anderen Homerecordisten.


 

2. Erlernen weiterer Instrumente durch Homerecording

Die Autodidakten forderte nicht zuletzt das Homerecording-Verfahren dazu heraus, weitere Instrumente zu erlernen, um sie u.a. bei ihren Aufnahmen einzusetzen. Es fällt auf, daß sich die Musiker besonders für das Tastenspiel interessierten:
Luhrmann, Frankenberg und Oertel diente es dazu, als Schlagzeuger die für sie neue praktische Erfahrung des polyphonen harmonischen und melodischen Musizierens zu machen. Zudem bot sich ihnen der Vorteil an, die vielfältigen Klangmöglichkeiten moderner Musikelektronik nutzen zu können, da die meisten Synthesizer und Sound- Sampler von einer Tastatur aus angesteuert werden. Aus diesem Grund kam auch Puttkamer mit dem Tastenspiel in Berührung, da er die Welt der elektronischen Klangerzeuger für sich erschließen wollte.

Die Notisten beschäftigten sich kaum mit fremdem Instrumentarium. Der Grund dafür ist wiederum in der Vorherrschaft der Tasteninstrumente zu sehen, die im Homerecording-Bereich weite Verbreitung gefunden haben.(259)
So ergänzten oder ersetzten die Pianisten Schäfer, Lindinger und Westernhagen das Klavier durch elektronische Klangerzeuger - die Vertrautheit mit den Tasten blieb dabei erhalten. Der Gitarrist Günther benötigt aus Gründen seines Musikstils selten einen Synthesizer und läßt lieber Gastmusiker einzelne Aufnahme-Parts übernehmen, als daß er selbst eine neue Instrumententechnik erlernt.

Die meisten der vorgestellten Homerecordisten haben besonders im Anfangsstadium ihrer Heimstudio-Zeit mit diversen Musikinstrumenten oder anderen Klangerzeugern (z.B. Haushaltsgeräte o.ä.) spielerisch experimentiert. Die Musiker fühlten sich dazu angeregt, ihnen bislang 'fremde' Instrumente einfach auszuprobieren und in ihrer Musik einzusetzen. Ohne Zeitdruck konnten einzelne Parts geübt, ausgearbeitet, aufgenommen und korrigiert werden. Gerade Instrumente, die sie im Grunde nur unzureichend beherrschten, wurden dabei oft sehr phantasievoll gespielt und unkonventionell eingesetzt.(260)


 

3. Entwicklung von Musikaufnahmen und typische Arbeitsweisen

Homerecording-Aufnahmen erfordern in der Regel einen Arbeitsplan, um die Spurenaufteilung sinnvoll vornehmen zu können und die Reihenfolge der einzuspielenden Instrumente festzulegen.

Z.B. wird bei der Produktion eines Pop-Songs im ersten Arbeitsgang gewöhnlich der Drumcomputer programmiert und auf eine Spur aufgenommen, da sich alle weiteren Instrumente auf den rhythmischen Unterbau beziehen. Gesang und Soloinstrumente dagegen werden meistens nach allen anderen Stimmen als letztes eingespielt, da der Musiker für diese schwierigeren Parts das vollständige Playback braucht, um sich optimal entfalten zu können. Auch werden Solo-Spuren häufiger erneuert und verändert sowie oft speziell klangtechnisch bearbeitet (z.B. durch Hall- oder Echoeffekte), so daß sie zweckmäßigerweise zuletzt vorgenommen werden.(261)

Alle Homerecordisten, so auch die hier vorgestellten, entwickeln je nach Musikstück oder persönlicher Vorliebe ihr eigenes individuelles Aufnahme-Konzept.
Dabei wird die Reihenfolge der Stimmen oft davon bestimmt, auf welchem Instrument das Stück in seiner Urfassung komponiert bzw. gespielt wurde. Von dieser Hauptstimme ausgehend wird die Musik nach und nach ergänzt und erweitert. Außerdem muß im Arbeitsplan mitberücksichtigt werden, welche Parts eventuellen Gastmusikern eingeräumt werden - bisweilen ein zeitlich-organisatorisches Problem.

Sowohl die Notisten als auch die Autodidakten wechseln bei der Realisierung ihrer Aufnahmen zwischen der systematischen (planmäßigen) und der spontanen, spielerischen Vorgehensweise ('Trial & Error'-Prinzip, 'sich treiben lassen', vom 'Erstplan' abweichen), doch es bestehen Unterschiede in der grundsätzlichen Entwicklungsweise von Musik:
Tendenziell ist feststellbar, daß die Notisten eine Komposition samt Arrangement vor dem eigentlichen Einspiel-Akt schon mehr oder weniger vollständig 'im Kopf haben' und es anstreben, diese Strukturen möglichst adäquat auf Band zu bringen. Die in der Reihenfolge systematisch erstellten Tonspuren werden im nachhinein abgehört, kontrolliert und eventuell ausgebessert oder verändert. Jedoch bleibt die ursprüngliche Komposition im großen und ganzen erhalten, die Editiermöglichkeiten stellen hauptsächlich eine Hilfe dar, die Musik so perfekt wie möglich zu realisieren.

Trotz aller Annehmlichkeiten der vielen nachträglichen Bearbeitungsmöglichkeiten - besonders präzise bei MIDI- Sequencern - sehen Schäfer, Lindinger und Westernhagen darin nicht nur einen Vorteil:
Die Versuchung, selbst das kleinste Detail zu korrigieren, um eine möglichst hohe Perfektion zu erreichen, ist groß, und ein Musikstück kann durch häufige 'Flickarbeit' leicht seinen Spannungsbogen und seine Atmosphäre verlieren.(262) Diese konstruierende Vorgehensweise läßt zwar den einzelnen Teil 'richtiger' werden, nur:
"Musikmaschinen, bei denen man alles Schritt für Schritt machen kann und dabei mit Umwegen und technischen Problemen zu kämpfen hat, zerstückeln die Arbeit eher - die Kreativität kann auf der Strecke bleiben, der Fluß ist unterbrochen."(263)

Die Autodidakten neigen wesentlich mehr als die Notisten dazu, Homerecording als Kompositionswerkzeug einzusetzen und das Studio als weiteres 'Musikinstrument' zu verwenden.(264)
Eine solche Komposition, die im Heimstudio entstehen soll, geht von einer musikalischen Grundidee aus, wie z.B.:(265)

* eine Melodie oder ein Melodie-Fragment
* ein Instrumental-Riff(266)
* ein bestimmter Rhythmus oder Rhythmus-Pattern
* eine Bass-Phrase (auch Sequencer-Bassläufe)
* eine Harmoniefolge
* ein bestimmter Sound (auch Geräusche und 'Sampling-Sounds').

Diese erste musikalische Idee wird nun zunächst in Rohform aufgezeichnet und dann - quasi als roter Faden - weitergesponnen, indem der Musiker dazu improvisiert, ergänzende Stimmlinien schafft, verschiedene Instrumentierungen ausprobiert, Ablaufschemen verändert, einzelne Songteile (z.B. Strophe, Chorus) umstellt usw.. Dieses schrittweise Vorgehen beeinträchtigt den Fluß der Komposition nicht, da diese ja noch gar nicht existiert. Einer solchen Arbeitsweise liegt lediglich eine bestimmte verspürte Grundatmosphäre zugrunde oder eine abstrakte Ahnung, worauf die Musik hinauslaufen könnte.

Homerecordisten wie die zu untersuchenden vier Autodidakten lassen - in stärkerem Maße als die Notisten - etwas anderes fließen:
Sie lassen der spontanen Kreativität, der Experimentierfreudigkeit und auch dem 'Zufall' freieren Lauf und befinden sich in permanenter Reflexion ihres eigenen Schaffens. Die Komposition wächst während des gesamten Aufnahme-Vorgangs, oft ist die fertiggestellte Aufnahme die eigentliche Komposition: Erdacht, probiert und gleichzeitig realisiert.

Sind die Tonspuren eingespielt, kommt noch die Möglichkeit der individuellen klanglichen und räumlichen Bearbeitung hinzu, um die Musik zu formen. So entstehen mitunter selbstproduzierte Werke, die live gar nicht aufgeführt werden könnten und auch nicht sollen, da sie als charakteristische Solomusik-Stücke für sich stehen. Das Mastertape besitzt damit eine Eigenständigkeit und ist nicht unbedingt zur Reproduktion oder zur weiteren Verarbeitung bestimmt (z.B. als 'bessere' Aufnahme in großen Studios mit professionellem Gerät, oder livemusikalisch umgesetzt), sondern besteht als selbständige Homerecording-Aufnahme.

Hierzu die britische Musikerin Kate Bush, die ihr eigenes Studio eingerichtet hat und prinzipiell wie ein Homerecordist arbeitet:
"... Dadurch [durch das eigene Studio] sind die Grenzen zwischen Komponieren, Aufnehmen und Produzieren noch fließender geworden..., weil alles nebeneinander und gleichzeitig passieren kann. Es gibt keine Demos im eigentlichen Sinne mehr. Ich nehme etwas auf der 24- Spur-Maschine auf und arbeite damit weiter, so daß das Demo im Prinzip schon das spätere Master ist."(267)

Es fällt auf, daß sich die größere Experimentierbereitschaft der Autodidakten auch bei der Verwendung von Effektgeräten ausdrückt:

Musiker wie Luhrmann, Frankenberg, Oertel, Puttkamer (aber auch der Notist Westernhagen) beziehen in ihre Kompositionen klangliche Effekte als Stilmittel mit ein, z.B. durch bewußt deutlichen Einsatz des Hallgeräts oder der Klangfilter. Durch naive oder artfremde Handhabung von Technik und Musikinstrumenten gelangen sie zu unkonventionellen Aufnahmeweisen und besonderen Klangergebnissen.(268)

Notisten hingegen wie Günther, Schäfer und Lindinger betrachten Hall- und Echogeräte mehr als Zusatz, um etwa das Klangbild abzurunden. Ihr Hauptaugenmerk ist auf herkömmliche musikalische Strukturen wie Melodielinien und Harmoniegefüge gerichtet.

Betrachtet man die Entwicklung der Arbeitsweisen aller Homerecordisten über einen größeren Zeitraum hinweg - von den jeweiligen Anfängen im eigenen Heimstudio bis zur heutigen Zeit - so lassen sich mehrere gemeinsame Veränderungen feststellen:

* Das Heimstudio-Equipment wurde seit den Anfängen stetig erweitert und erneuert, dabei hat digitale Technik in Form von Effektgeräten, Synthesizern/ Samplern oder MIDI-Sequencern bei jedem der Musiker Einzug gefunden:
Puttkamer, Oertel, Frankenberg, Schäfer und Lindinger arbeiten heute hauptsächlich mit dem MIDI-Aufnahmesystem. Luhrmann und Westernhagen haben sich ein 8-Kanal- Bandstudio ausgebaut, das nicht zuletzt dank hochwertiger digitaler Peripherie professionellen Klangansprüchen genügen kann. Beiden dient ein Sequencer als Ergänzung. Eckhardt Günther ist - vom Ausstattungs-Status her gesehen - ein typischer 'analoger' Homerecording- Anfänger. Doch selbst er leistet sich den 'Komfort' eines digitalen Hallgeräts.
Bei allen acht Musikern wird die instrumentale Musik mittlerweile zum großen Teil bzw. ausschließlich von Synthesizer- oder Sampler-Klängen bestimmt, und es wird die Verwendung künstlicher Räume bevorzugt.

* Außer bei Günther und von Westernhagen sind die akustischen Instrumente weitgehend in den Hintergrund gedrängt worden.

* Es ist eine deutliche Tendenz zu solistischer Arbeitsweise zu verzeichnen. Echtes Teamwork, z.B. bei Co-Produktionen mit befreundeten Musikern, findet heute nur noch sehr selten statt. Eingeladene Gastmusiker bekommen in der Regel einen bestimmten Part zugewiesen, den sie nach den Vorstellungen des Komponisten ausfüllen sollen. Lindinger, Frankenberg und Puttkamer haben Homerecording schon seit ihren Anfängen fast ausschließlich allein betrieben.


 

4. Funktion der Homerecording-Musik und Zweck der Heimstudio-Aufnahmen

Untersucht man, zu welchem Zweck die Homerecordisten ihre Aufnahmen herstellen und was das Verfahren an sich für sie bedeutet, ist die Gruppeneinteilung in 'Notisten' und 'Autodidakten' nicht mehr aufrecht zu halten, da zu individuelle Ambitionen bei den einzelnen Personen ersichtlich werden.
Doch es läßt sich grob feststellen, daß Homerecording hauptsächlich zwei Funktionen erfüllt:

1.  Musik zu machen
2.  Kompositionen zu verwirklichen.

Zu 1)  Alle acht vorgestellten Homerecordisten betrachten die Arbeit im Heimstudio als neue Form, sich musikalisch kreativ zu betätigen. Zu selbst aufgenommenen Tonspuren zu spielen bedeutet im Grunde, mit 'jemandem' zu musizieren - in diesem Fall findet Rückkoppelung und Kommunikation mit der eigenen Person statt.
Durch Drumcomputer, begleitende Sequencerfiguren und die variantenreichen Klangfarben von Synthesizern/Samplern können Strukturen geschaffen werden, deren Komplexität zum Musizieren als ausreichend empfunden wird. Homerecording hat oft die Funktion einer ins eigene Heim verlegten Band- oder Orchesterprobe und kann - mit Ausnahme von Eckhardt Günther - bei allen Musikern ebenbürtig neben herkömmlichen Musizierweisen bestehen.
Für Puttkamer und Frankenberg stellt Homerecording momentan sogar die einzige musikalische Ausdrucksform dar. Frankenberg sieht es zwar nur als Übergangsphase an, bevor er sich wieder in Gruppen live betätigen wird, Puttkamer jedoch ist ein besonders deutliches Beispiel dafür, daß die Arbeit im Heimstudio allein für sich stehen kann, ohne daß dabei andere Spielweisen oder Mitmusiker vermisst würden.(269) Für ihn - wie auch für Christoph Oertel - bedeutet allein das Suchen nach Klängen, das Formen und Verändern minimaler Strukturen 'vollwertiges Musizieren'.

Jeder der Musiker kennt den Reiz, im Heimstudio auf spielerische Art 'Stimmungsbilder' zu schaffen und aufzunehmen, z.B. sphärische Klangschichtungen oder kleine, spontan entstandene Liedfiguren. Oft dienen solche Mitschnitte von "Self-Sessions"(270) zur Inspiration für weitere Verwendungen (z.B. spätere Kompositionen).

Zu 2)  Bei der Realisierung von Kompositionen durch das Homerecording-Verfahren, ganz gleich, ob nach vorgefaßtem Plan ausgeführt oder während der Aufnahme-Arbeit entstanden(271), ist das Masterband als Endprodukt das vorrangige Ziel.
Meist dient eine Homerecording-Produktion als Vorlage für weitergehende Bearbeitungen und bezweckt die möglichst gute Demonstration einer Komposition. Fast alle Musiker bewerben sich anhand eines solchen Demo-Tapes bei Kompositionswettbewerben, Schallplattenfirmen, Filmgesellschaften oder bei Sendeanstalten von Funk und Fernsehen.
Günther, Schäfer, Oertel und Westernhagen proben manche Werke später mit Musikgruppen ein, entweder um sie live aufzuführen oder um sie in professioneller Qualität und 'lebendiger' Instrumentierung in größeren Studios zu reproduzieren.
Erlaubt das Heimstudio eine entsprechend gute Aufnahmequalität, können auch professionell verwertbare Produktionen entstehen:
In den 8-Kanal-Bandstudios von Luhrmann und Westernhagen werden Schallplatten eingespielt. Luhrmann betätigt sich dabei als Produzent und Tonmeister für fremde Musiker, während Westernhagen eigene Musik umsetzt (Filmmusiken und manche Solowerke).


 

5. Auswirkungen des Homerecording auf das Musikerdasein der vorgestellten Personen

Bei der Betrachtung der allgemeinen musikalischen Entwicklung der einzelnen Personen seit Beginn ihrer Heimstudiozeit läßt sich feststellen, daß Homerecording Einfluß auf herkömmliche Musizierweisen genommen oder sogar neue Musikformen hervorgebracht hat.
Im folgenden soll aufgezeigt werden, inwieweit die Homerecordisten als Musiker durch die Studioarbeit geprägt sind, welche Veränderungen im einzelnen ausgelöst worden sind und von welchen Vorteilen sie profitieren, die sich durch dieses Aufnahmeverfahren ergeben.


Günther, Schäfer, Lindinger und Westernhagen

Die vier Notisten verfolgen bis heute weitgehend denselben musikalischen Weg, den sie schon vor ihrer Homerecording-Zeit gegangen sind. Das Live-Spiel bzw. die Live-Umsetzung durch andere (z.B. Günthers Werke) nimmt nach wie vor einen hohen Stellenwert ein, dabei hat sich der Musikstil grundsätzlich nicht verändert. Vermutlich würden diese Personen auch ohne Heimstudio- Erfahrung heute eine sehr ähnliche Musik spielen. Doch sind einige Auswirkungen des Homerecording auf ihre jeweilige musikalische Arbeit zu erkennen:

Eckhardt Günther konzertiert nach wie vor live als Solo-Gitarrist oder in Bands und läßt seine orchestralen Kompositionen von anderen Musikern aufführen. Sein Homerecording-Equipment dient ihm hauptsächlich als Arrangierhilfe. Bevor seine Werke von den entsprechenden Musikern einstudiert werden, kann Günther sie im Vorfeld überprüfen und gegebenenfalls verändern und optimieren. Homerecording läßt ihn variantenreicher arbeiten und ermöglicht durch die Nachkontrolle eine Perfektionierung seiner Musik. Seiner Meinung nach würde z.B. so manch interessantes Arrangement ohne die Probiermöglichkeiten in seinem Studio nicht entstehen können.

Jan Schäfers Popmusik ist mittlerweile deutlich von der 'konstruierenden Vorgehensweise'(272) seiner Homerecording- Arbeit geprägt. Während er der Band früher Songideen im Rohzustand vorstellte, die dann im Kollektiv ausgefeilt und arrangiert wurden, liegt den Musikern heute meist ein komplett strukturiertes und arrangiertes Demo-Band vor, das Schäfer vorher im Alleingang aufgenommen hat. So fungieren die Mitmusiker wesentlich mehr als früher als Ausführende von Schäfers Kompositionen, da für ihr Spiel genaue Vorgaben (z.B. ausgearbeitete Basslinien, spezielle Synthesizer-Sounds) bestehen, die sie in der Regel auch nicht mehr verändern.

Homerecording bietet Schäfer außerdem die Chance, sich unabhängig von der Gruppe als Solo-Künstler per Demo- Tape bei der Musikindustrie anzubieten, um eventuell einen Schallplattenvertrag zu bekommen. Ohne die Möglichkeit der solistischen Heimstudioarbeit wäre es für ihn wahrscheinlich nicht so einfach, eine so komplexe und klare Demonstration seines Könnens als Songschreiber und Musiker abzuliefern, es sei denn, er griffe wieder auf andere Musiker zurück, die eine Aufnahme nach seinen exakten Vorstellungen mitgestalteten.

Für Mike Lindinger als professionellen Tanzmusiker stellt das Homerecording-Verfahren eine "enorme Arbeitserleichterung"(273) dar. Einzelne Stücke können zu Hause vorarrangiert und per Demo-Band weniger zeitaufwendig von der Tanzcombo einstudiert werden. Falls instrumentale Figuren (Baß, Keyboard-Harmonien oder Drumcomputer), die im Heimstudio in den Sequencer einprogrammiert worden sind, live abgespielt werden, läßt sich ein Konzert in reduzierter Bandbesetzung bestreiten. Der Ersatz von Musikern durch sequencergesteuerte Klangmodule hat zwei Vorteile:

1.  Die Arbeit des Bühnenauf- und -abbaus wird erleichtert, Transportprobleme (Equipment und Musiker) werden vermindert.

2.  Der einzelne Musiker bekommt einen relativ höheren Gagenanteil.

Der Jazz-Komponist Lindinger nutzt das Homerecording- Verfahren, um komplexe Arrangements seiner Kompositionen zu erstellen, festzuhalten und nach Belieben zu perfektionieren. Falls ihm in Zukunft ein geeignetes Notendruck-Computerprogramm zur Verfügung stünde, könnte er Partituren dieser Stücke ausdrucken lassen und sich bei Verlagen als Komponist und Arrangeur anbieten - Homere- cording würde ihm eine Möglichkeit schaffen, seine Musik in Form von Software (Noten) kommerziell zu verbreiten.

Bei Thilo von Westernhagen haben sich im Laufe der letzten Jahre zwei verschiedene musikalische Wege herauskristallisiert:

1. Fortführung der herkömmlichen Musik
Westernhagen spielt weiterhin Jazzmusik als Solopianist oder zusammen mit einer Band, gibt Live-Konzerte und macht Schallplattenaufnahmen in professionellen Studios. Ähnlich wie die drei vorgenannten Notisten nutzt er Homerecording als Arrangierhilfe oder zur Strukturplanung von Stücken, die mit anderen Musikern eingeprobt werden sollen. Diese vorhergehende Planarbeit spart Probezeit und schafft aus der Sicht des Komponisten exaktere Vorgaben zur nachträglichen Umsetzung im Kollektiv. Im Heimstudio entstehen mittlerweile auch kleine Filmmusiken, die Westernhagen mit Gastmusikern im Overdub-Verfahren einspielt.

2. Entwicklung eines neuen Musikstils durch Homerecording
Insbesondere inspiriert durch Synthesizer-/Samplerklänge und experimentelle Aufnahme- und Bearbeitungsmethoden im Heimstudio hat Westernhagen für sich eine neue, eigenständige Musik entdeckt:
Selbstproduzierte 'Sound-Musik', die vornehmlich für Filmvertonungen oder Solo-Schallplatten bestimmt ist. Bei der Entwicklung dieser Homerecording-Musik werden eigene typische Vorgehensweisen erkennbar:

-  An den Aufnahmen arbeitet Westernhagen fast ausschließlich allein und fühlt sich dazu angeregt, verschiedene Instrumente selbst auszuprobieren und einzuspielen - außer Synthesizern, Samplern und Flügel vor allem diverse Percussion- Instrumente.
-  Die Kompositionen werden spielerisch realisiert und oft direkt aus der Improvisation heraus umgesetzt. Stückestruktur und Soundgestaltung entstehen spontan und spielerisch, "... die Musik entsteht während der Aufnahme selbst."(274)
-  Das fertige Homerecording-Werk bedeutet die endgültige Fassung der Komposition.

Insgesamt gesehen unterstützt und fördert das Homerecording-Verfahren Westernhagens Forscher- und Entwicklungsdrang, erweitert sein musikalisches Betätigungsfeld und läßt ihn zu Hause fertige Produktionen erstellen, die als Mastertape an Film-/Fernsehanstalten oder Schallplattenfirmen verkauft werden. Das unabhängige Arbeiten im Heimstudio trägt so mit dazu bei, daß Westernhagen als Musiker finanziell gesichert leben kann.


Luhrmann, Frankenberg, Oertel und Puttkamer

Im Vergleich zu den Notisten hat sich bei den Autodidakten durch die Beschäftigung mit Homerecording deutlich ein erweitertes Musikverständnis und damit ein für sie neuer musikalischer Weg herausgeschält. Livemusikalische Aktivitäten treten zugunsten intensivierter Heimstudioarbeit mehr in den Hintergrund. Die Art und Weise, wie diese Personen heute Musik praktizieren - bezüglich der Herangehensweise, des Musikstils und der Instrumentenwahl - wäre ohne Homerecording kaum denkbar. Manche neue Betätigungsfelder wurden erst mit Hilfe eines eigenen Studios möglich.
Im einzelnen haben sich folgende Veränderungen ergeben:

Joachim Luhrmann arbeitet nicht mehr wie früher in einer festen Band, sondern betätigt sich gelegentlich als Tournee- oder Studioschlagzeuger für andere Musiker. Die Arbeit im Heimstudio hat deutlichen Vorrang gewonnen. Musikstücke zu komponieren, sie selbst einzuspielen und zu produzieren, bedeutet für Luhrmann eine neue Form musikalischer Freizeitbeschäftigung. Gelegentlich ergibt sich durch den Verkauf von solchen Produktionen eine zusätzliche Einnahmequelle (z.B. Musik zur Video-Untermalung).
Obwohl er bei den Aufnahmen nach wie vor Schlagzeug- und Percussionparts selbst spielt (und nicht etwa durch einen Drumcomputer ersetzt), ist Luhrmann im Vergleich zu früheren Zeiten von herkömmlichen Rock- oder Jazz- Instrumentierungen weiter abgerückt. Der zunehmende Einsatz von Synthesizern, Sequencern und Halleffekten wirkt sich charakteristisch auf Komposition und Gesamtsound seiner Musik aus.
Luhrmann, der sein Heimstudio in den letzten zwei Jahren verstärkt anderen Musikern zur Verfügung stellt und mit ihnen zusammen produziert (Demo- und Schallplattenaufnahmen), strebt es an, sich als Produzent und Tonmeister zu profilieren.

Ulrich Frankenberg ist es durch Homerecording möglich geworden, unabhängig von anderen Musikern einen eigenen Musikstil herauszuarbeiten. Sein Musikverständnis hat sich durch die intensive Beschäftigung mit ihm bislang fremden Instrumenten (Keyboards, Gitarre, Saxophon) auf harmonische und melodische Bereiche hin ausgeweitet, die Rolle und Funktion seines Schlagzeugspiels ist dabei für ihn neu definiert worden. In Ruhe experimentiert Frankenberg zu Hause an der "meditativ fließenden Klangmusik"(275), die er zukünftig per Demo-Aufnahmen anderen Musikern vorstellen möchte, um sie in einer Band live zu realisieren. So gesehen würden sich durch Solo-Homerecording gewonnene Erfahrungen und entwickelte Spielweisen direkt auf Live-Projekte mit einer Gruppe auswirken. Bei Christoph Oertel hat Homerecording sehr deutlich eine Abwendung von früheren Musikformen und -stilen hervorgerufen und den Beginn einer neuen musikalischen Schaffensphase eingeleitet.

Durch die planende und additiv gestaltende Vorgehensweise des Mehrspurverfahrens und das Experimentieren mit den verschiedensten Instrumentierungen ist Oertels strukturelles und harmonisches Vorstellungsvermögen von Musik sowie das Erkennen und Einordnen von musikalischen Zusammenhängen geschult worden - unter anderem wurde ihm damit auch der Zugang zu traditioneller und moderner sogenannter 'E-Musik' erleichtert.(276)

Über experimentelles Arbeiten mit Musikelektronik (Sampler, Computer, Hall-/Echogeräte usw.) gelangte Oertel ebenfalls zu einer ihm neuen musikalischen Ausdrucksform. Praktische Homerecording-Erfahrungen und ein erweitertes Musikverständnis gaben ihm das Zutrauen und die Fähigkeit, sich von der begleitenden Rolle des Bandschlagzeugers zu lösen und eigenkreativ schöpferisch tätig zu werden(277), u.a.:
- Kompositionen und Arrangements für Streichinstrumente oder Klavier (hauptsächlich Filmmusik-Aufträge)
- Experimentelle Klangkompositionen für Film- und Theaterproduktionen
- Live-Aufführungen von 'Minimal-Music' (Steve Reich) in von ihm geleiteten Percussionensembles.

Das Homerecording-Verfahren hat dem Autodidakt Oertel über mehrere Jahre hinweg dazu verholfen, seinen eigenen musikalischen Weg zu finden und zu verfolgen. Erste verwirklichte Musik-Produktionen für Spielfilme sind ein Zeichen dafür, daß er durchaus seinen professionellen Ambitionen gerecht werden könnte.

Schon vor seiner Heimstudio-Zeit hatte sich Hubertus von Puttkamer von früheren Live-Aktivitäten (Jazz- und Tanzmusik) abgewendet und sein Interesse auf Synthesizer-Musik gerichtet. Nach wie vor experimentiert er mit elektronischen Klangerzeugern, die ihn dazu animieren, "Soundlandschaften zu erobern"(278) und ihm ein neues Betätigungsfeld eröffnet haben.

Das Homerecording-Verfahren unterstützt diesen musikalischen Weg, Klangmusik zu schaffen und ermöglicht Puttkamer die ausschließlich solistische Arbeitsweise zu ihm beliebiger Zeit:
- Klänge und Klangabfolgen können auf Band oder per Computer festgehalten und organisiert werden. Puttkamer komponiert im additiven Schichtungsverfahren 'Klangatmosphären'.
- Die Mehrspurtechnik in Kombination mit Spielhilfen ermöglicht ihm als "Nichtmusiker"(279) die Realisation von komplizierteren musikalischen Figuren: Tonbandkompositionen können entstehen, die er für Klanginstallationen und Experimentalfilmvertonungen verwendet.

 

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