I. Geschichtlicher Überblick


A. Entwicklungsgeschichte der Tonstudiotechnik

Bevor eine Darstellung der Homerecording-Geschichte im einzelnen erfolgt, soll zunächst eine kurze Betrachtung der historischen Entwicklung der professionellen Aufnahmeausrüstung vorangestellt werden. Denn insbesondere aus der immer wieder verfeinerten Mehrspurtechnik leitete sich schließlich die Möglichkeit zur Entstehung modernen Homerecording-Equipments ab.

 
1. Die Anfänge der Magnettontechnik

Als die Firma TELEFUNKEN 1935 ihr 'Magnetophon' vorstellte, wurde damit der eigentliche Grundstein der modernen Tonaufzeichnung gelegt. Ein Speichermedium war geschaffen worden, das nach dem Prinzip der 'Merkfähigkeit' magnetisch geladener Teilchen funktionierte. Als Trägerbänder fungierten anfangs eisenoxydbeschichtete Papierstreifen, die der Signalstärke entsprechend durch Induktionsströme magnetisiert werden konnten. (14)

In den ersten Jahren verwendete man die Magnettontechnik jedoch vorwiegend für Diktatzwecke, da die Geräte der ersten Generationen nicht den Anforderungen der Rundfunkanstalten genügten - das Grundrauschen der Bänder blieb für die Entwickler das Hauptproblem. Der Rauschabstand lag zwar schon in der gleichen Größenordnung wie bei Schallplatte und Tonfilm, jedoch fehlte, um die bekannten Verfahren zu übertreffen, noch ein weiterer Schritt zur Verbesserung der Dynamik. Die Zusammenarbeit der BASF und AEG schuf in den nachfolgenden Jahren neue und leistungsfähigere Bänder (auf Kunststoffbasis), und 1940 schließlich konnte die Aufnahmequalität entscheidend verbessert werden, als die Physiker von Braunmühl und Weber die Hochfrequenz-Vormagnetisierung erfanden, bei der dem eigentlichen Aufnahmesignal eine hochfrequente Spannung überlagert wird. (15)
"Der Erfolg war überwältigend. Der Anwendung des Magnettons auf allen Gebieten der technischen Akustik stand nichts mehr im Wege." (16)

Amerikanische Musiker z.B., die bislang ständig von einer Radiostation zur nächsten unterwegs waren, um die Programme mit Livemusik zu versorgen, konnten jetzt ihre Songs aufnehmen und die Bänder an die jeweiligen Stationen verschicken.(17) "Zum ersten Mal war es Künstlern möglich, schnell und in ansprechender Klangqualität gleichzeitig an mehreren Orten ihren Vortrag 'on Air' zu bringen."(18)

Natürlich wurde die Magnettonaufzeichnung auch der eigentlichen Schallplattenherstellung vorgeschaltet. Dabei konnte von einer zur damaligen Zeit revolutionären Verfahrensweise Gebrauch gemacht werden: "Zum allerersten Mal war es auch möglich, Fehler in der Aufnahme auszumerzen."(19) Das Schneiden des Bandmaterials erlaubte es, einen Teil eines Songs, der fehlerhaft war, auszuwechseln gegen den gleichen fehlerfreien Teil eines Songs, der auf einer anderen Maschine aufgezeichnet worden war. Weiterhin konnten die Musiker ihren Part auf einer Maschine aufnehmen, der Sänger oder die Sängerin ihren Vortrag auf einer anderen. Danach ließ sich beides zusammen auf einer dritten Maschine zur Einheit verschmelzen.(20)

Ein anderes Verfahren ermöglichte es, ganze Vorträge Stück für Stück aufzubauen - das sogenannte 'Sound-on- Sound-System':
Gearbeitet wurde mit mehreren Tonbandgeräten, die man abwechselnd als Aufnahme- bzw. Wiedergabegerät einsetzte und dabei jeder Neuaufnahme das bereits im vorherigen Arbeitsgang Aufgenommene der neuen Aufzeichnung zumischte.(21) Unbegrenzt konnte jedoch nicht von dieser Vorgehensweise Gebrauch gemacht werden, "... denn nach jedem Überspielen machte sich ein wachsender Rauschpegel bemerkbar, der immer deutlicher wurde, je öfter Sound auf Sound gelagert wurde. Unterdrückungssysteme, die dieses Rauschen hätten minimieren können, waren gänzlich unbekannt, und so konzentrierte sich die Aufnahmetechnik darauf, möglichst alle Nebengeräusche im Aufnahmebereich zu verhindern."(22)
Der amerikanische Gitarrist Les Paul war besonders virtuos in der Handhabung des 'Sound-on-Sound'-Verfahrens und demonstrierte sein Können auf Schallplatten.(23) Er bereitete den Weg mit für experimentierfreudige Aufnahmeweisen und hat sogar noch heute für manche Homerecording-Anfänger Vorbildcharakter.


 
2. Die Entwicklung der Mehrspurtechnik

Der nächste Schritt in der Entwicklung der Schallspeicherung war die Einführung der Mehrspurtechnik. "Zwar war es Les Paul und anderen möglich gewesen, Sound auf Sound zu legen, aber immer mußten sie mehrere einzelne Maschinen dazu benutzen. Sie synchron, nebeneinander herlaufend, zu machen, war kaum befriedigend zu lösen."(24) Der amerikanischen Firma Ampex gelang es Mitte der 50er Jahre, "... die aufnahme- und wiedergaberelevante Technik von zwei Maschinen in einer zu vereinigen."(25) Zum einen ließen sich auf den nun vorhandenen 2 Spuren einer Bandmaschine Playbacktechniken wie das schon beschriebene 'Sound-on-Sound'-Verfahren realisieren, zum anderen war es möglich, durch entsprechende Mikrofonplazierungstechniken Stereo-Aufzeichnungen herzustellen(26), die eine zur damaligen Zeit neue räumliche Dimension bei der Wiedergabe eröffneten.(27)

Der eigentliche Durchbruch der Mehrspurtechnik erfolgte 1956 mit der Vorstellung des ersten 3-Spur-Gerätes.(28) Dies war ein Fortschritt, der eine Erweiterung auf immer mehr Spurkapazitäten in einer Maschine zur Folge hatte: Mitte der 60er Jahre kamen die ersten 4-Spur-Geräte auf, Ende der 60er Jahre war 8-Spur der internationale Studiostandard. Nach der Entwicklung der 16- und 24-Spur-Technik in den 70er Jahren arbeiten Studios heutzutage mit Bandmaschinen, die bis zu 32 Spuren in sich vereinigen.(29)

Durch die Mehrspurtechnik wurde ein bislang sehr störender und lästiger Faktor ausgeschaltet:
Das additive Playback-Aufnahmeverfahren (mit mehreren Monogeräten oder einer 2-Spur-Maschine) hat den Nachteil, "... daß die Balance der einzelnen Schichten zueinander im nachhinein nicht mehr veränderbar ist. Bei mehrfachen Überspielungen verstärken sich diese Schwierigkeiten, und selbst bei großer praktischer Erfahrung ist es unmöglich, bei der Erstaufnahme bereits zu berücksichtigen, was sich bei späteren Überspielungen als notwendig erweisen könnte. Der gesamte Aufnahmeablauf muß also wiederholt werden, sobald die Korrektur einer früheren Aufnahmeschicht erfoderlich wird."(30)

Dagegen ermöglicht es die Mehrspurtechnik, "... jede einzelne Aufnahmeschicht bis zum Schluß unabhängig voneinander zu bearbeiten ..., den Aufnahmevorgang vom Mischvorgang zeitlich abzutrennen. So werden die einzelnen Instrumente oder Instrumentengruppen getrennt auf separate Spuren eines Mehrspurbandes aufgezeichnet, ohne daß man in diesem Stadium bereits die Balance des Klangbildes und die Lautstärkeverhältnisse des Stückes berücksichtigen müßte. Das geschieht erst bei dem darauffolgenden Vorgang, dem Abmischen, worunter man das Verarbeiten der einzelnen Spuren zu einem Mastertape, der endgültigen Produktion als Stereo-Tonband, versteht."(31)

Abgesehen von der 'Spurenexpansion' der Bandmaschinen konnten auch bei anderen Komponenten der Aufnahmeapparatur Fortschritte erzielt werden: Die Qualität der Aufzeichnungsbänder und der Mikrofone wurde verbessert, was sich positiv auf die Aussteuerbarkeit und den erreichbaren Frequenzgang der Aufnahmen auswirkte.(32)
"... Schrittweise wurde das immer noch bestehende Mißverhältnis zwischen Ursprungssignal und Wiedergabe geringer."(33)

In den ersten zwei Jahrzehnten des 'Tonbandzeitalters' verwendete man im professionellen Bereich 2 Zoll (2") breites Bandmaterial, auf dem sich nur ein oder zwei Tonspuren befanden. Mit der Weiterentwicklung der Mehrspurtechnik in den 60er Jahren mußte gleichzeitig die Breite der einzelnen Tonkopfspalte verringert werden, um mehr Spuren auf der gleichen Bandbreite plazieren zu können. Diese Verfeinerung der Spaltpräzision führte in den 70er Jahren auch zur besseren Nutzung von schmalerem Bandmaterial, so daß z.B. auf einem 1"-Band 8 oder sogar 16 Spuren nebeneinander aufgezeichnet werden konnten(34), jedoch nicht ohne unerwünschte Nebeneffekte:
Die Verringerung der Spurbreite verursachte einen höheren Rauschpegel, ein Zunehmen der Übersprechsignale zwischen den Spuren sowie auch eine allgemein größere mechanische Empfindlichkeit gegenüber äußeren Einflüssen (wie z.B. die gefürchteten "Drop-Outs"(35,36)).

Neuentwickelte Rauschunterdrückungssysteme(37), die das Bandrauschen wirksam reduzierten sowie die fortschreitende Transistorisierung und Bauteilverbesserung der Studioausrüstung trugen dazu bei, daß eine professionelle Studioqualität der Aufnahmen gewährleistet blieb und sogar im Verlauf der Jahre weiter gesteigert werden konnte.



 
B. Der Studio-Sound als musikalisches Stilmittel

Der "Sound"(38) als persönliche Ausdrucksform oder wiedererkennbares Merkmal ist m.E. schon immer ein wichtiger Bestandteil der musikalischen Wirkung eines Klangkörpers gewesen, sei es eines Symphonieorchesters, einer Jazz- Bigband oder einer Rock-Combo. Er wird einerseits gebildet durch kompositorische Vorgaben wie geschickte, wirkungsvolle Arrangements der instrumentalen und vokalen Stimmen, andererseits prägen ihn klanglich-interpretatorische Mittel: Orchester und Jazzbands z.B. setzen Dämpfer bei Geigen und Trompeten ein, um dynamische und klangliche Variationen zu erzielen, Rockmusiker bedienen sich zunehmend elektronischer Klangmanipulatoren, um ihren speziellen Gruppensound zu erreichen (z.B. übersteuerte Röhrenverstärker, 'Wah-Wah'-Klangfilterpedale, Ringmodulatoren, Phase-Shifter, Echogeräte).(39)

Doch ein anderes musikalisches Stilmittel gewann in den 60er Jahren an entscheidender Bedeutung: Die Künstlichkeit einer Studioproduktion, erzielt durch die kreativen Möglichkeiten, die die Mehrspurtechnik in Verbindung mit diversen peripheren audiotechnischen Apparaturen anbot. Ein Tonmeister konnte den Sound eines Klangkörpers bei der Umsetzung auf Band musikalisch effektiv mitgestalten, das Studio wurde so zu seinem Instrument und er zum ergänzenden 'Musiker'. Doch nicht in jeder Musikrichtung war diese Art von Mitgestaltung gefragt:

Orchester, Quartette oder andere Formationen des klassischen Musikbereichs, die mit herkömmlichen Instrumenten arbeiteten, waren m.E. zu sehr verhaftet in der scheinbaren Traditionspflicht, selbst bei einer Schallplatteneinspielung die Authentizität der interpretatorischen Wiedergabe wahren zu müssen, als daß sie moderne Studiotechnik als zusätzlichen soundprägenden Faktor mit in Anspruch genommen hätten. Sie profitierten lediglich von der erweiterten Klanggruppenverteilung auf die einzelnen Spuren, nicht jedoch von klangverfremdenden Bearbeitungsmöglichkeiten. Selbst in der heutigen Zeit ist die möglichst werkgetreue Aufzeichnung höchstes Ziel der sogenannten 'E-Musiker'. Künstlicher Nachhall z.B. wird nicht als klangveränderndes Element eingesetzt, sondern um einen Raumeindruck zu unterstützen oder zu erzeugen.(40)

Der amerikanische Arrangeur und Komponist Gil Evans dagegen, ein Jazzmusiker, konnte den Sound, den er mit seiner Band anstrebte, mit Hilfe der Studiomittel besser verwirklichen. Evans handhabte sein Orchester mit einer Freiheit und Bildhaftigkeit, die bisher nur von sehr wenigen Werken erreicht worden war, wie etwa Stockhausens 'Gruppen für drei Orchester'.(41) Auf Schallplatte kam die Vielfältigkeit und Originalität der von ihm entdeckten instrumentellen Kombinationen voll zur Geltung, "... seine unzähligen Soundmischungen sind nicht nur im Jazz, sondern in der orchestralen Musik schlechthin etwas Neues ... Einer der Gründe hierfür ist, daß Evans im Studio instrumentelle Kombinationen benutzte und ins Gleichgewicht brachte, die rein akustisch nicht im Gleichgewicht waren."(42)

Ein weiteres Beispiel für den soundprägenden Einsatz des Tonstudios in der Jazzmusik stellt auch eher die Ausnahme als die Regel dar: Zusammen mit seinem Produzent und Tonmeister Teo Macero bearbeitete Miles Davis ab 1968 seine Einspielungen mit Echoeffekten oder setzte einzelne Klanggruppen in verschiedene künstlich geschaffene Räume.(43) Zudem machte er vom Bandschnittverfahren ("Cuttern"(44)) Gebrauch und fügte unterschiedliche Teile einer Studiosession zusammen, oft auch gleiche Parts wiederholt.(45)

Bei Produktionen von Rock- und Popmusik, "... die so stark wie keine andere Musik vom 'Sound' lebt"(46), war der Einfluß der Studiotechnik auf entstehende Klanggebilde ungleich größer. "Entscheidend geprägt wird eine Aufnahme ... durch die charakteristische Arbeitsweise des Aufnahmeteams. Produzent und Tonmeister, häufig in Personalunion, gestalten den Sound, das Markenzeichen einer Produktion, gleichberechtigt neben Komponist, Arrangeur und Musiker."(47)

Ca. bis Ende der 60er Jahre bediente man sich vorwiegend akustischer und mechanischer Techniken, um ein individuelles Klangbild zu entwickeln. Aufnahmetechnisch entscheidend z.B. war die Frage der Aufstellung der Musiker im Studio sowie die Auswahl der geeigneten Mikrofontypen und ihrer räumlichen Zuordnung zu einzelnen Instrumenten ('Miking').(48) So konnten schon direkt bei der Einspielung Klangfarben und Räume bestimmt und im Mischpult einander angepaßt werden. Das 'Miking' gleicht "... einer Geheimwissenschaft, die von den eingeweihten Tonmeistern mit ihrer großen praktischen Erfahrung beherrscht wird."(49)

Andere Studios machten sich die zeitaufwendige Bearbeitungsweise des Cutterns zu eigen, um das bespielte Bandmaterial zu bearbeiten, z.B. um Einschwingvorgänge zu verändern (etwa nach der Art Stockhausens(50)). Holger Czukay z.B., Musiker und Toningenieur der Gruppe CAN, benutzte mit Vorliebe dieses klangmanipulatorische Mittel, um einen bestimmten Sound zu erzielen. Bis zu mehrere hundert z.T. auf solche Weise beschnittene Versatzstücke, alles Teile von eingespieltem Sessionmaterial, montierte und komponierte er zu einem Musikstück.(51)

George Martin, Produzent und Tonmeister der BEATLES, sollte ebenfalls Erwähnung finden. Seine klangtechnisch hochwertigen und phantasievollen Aufnahmen stellen seine Fähigkeiten im Umgang mit der Studiotechnik, besonders der Mikrofon- und Cuttertechnik, deutlich heraus.(52) Martin zeigte , "... was seinerzeit bereits mit 4-Spur- Maschinen realisierbar war."(53)

Seit Anfang der 70er Jahre wurde die elektronische Nachbearbeitung von Aufnahmen mehr und mehr soundbestimmend für Produktionen des Rock-/Popbereichs:

"Das fertige Mehrspurband enthält auf bis zu 24 Spuren[54], weitgehend voneinander isoliert aufgenommen, alle Instrumental-und Gesangsstimmen eines Stückes im Rohzustand."(55) Beim darauf folgenden Abmischvorgang werden die Einzelspuren zu einem ausgeglichenen Klangbild zusammengefaßt, wobei jede Stimme unabhängig von den anderen bearbeitet werden kann. "Durch Gestaltung der musikalischen Dynamik und Balance, der Klangfarbe und der räumlichen Bezüge wird dabei der Sound der Aufnahme abschließend geformt."(56)

"Mit dieser Produktionsmethode lassen sich sogar nach der Einspielung noch Anpassungen an bestimmte Trends vornehmen, etwa indem man die bereits eingespielten Geigen wieder herausnimmt, wenn der Produzent glaubt, daß ein anderer Sound aktueller ist. Die endgültige - das Arrangement und den Sound einer Aufnahme bestimmende - Abmischung hängt daher wesentlich von den Tonmeistern am Mischpult bzw. vom Produzenten ab, besonders dann, wenn nicht eine real existierende Gruppe, sondern zufällig zusammengetrommelte Studiomusiker eine Schallplattenproduktion einspielen."(57)

Heutzutage sind Schallplattenproduktionen ohne jegliche klangliche Nachbearbeitung während des Abmischvorgangs kaum noch denkbar, denn mittlerweile wird die professionelle Rock- und Popmusikszene vollständig von der Musikelektronik beherrscht.(58) Neben diversen Filter- und Phasingtechniken ist es vor allem der spezielle Einsatz von Hall- und Echogeräten, der einer Popmusikaufnahme ihren charakteristischen Sound verleiht. Tonmeister wie z.B. Phil Spector in den 60er oder Trevor Horn in den 80er Jahren machten mit besonders effektiven Raumillusionen auf sich aufmerksam und trugen mit dazu bei, daß der von ihnen als Produzenten gestaltete Studiosound mittlerweile ein vollwertiger Bestandteil der Musik geworden ist.(59,60)

Die wohl meisten professionellen Studio-Produktionen der 70er und 80er Jahre sind mittels aufwendiger Apparaturen entstanden. Der durch modernstes technisches Gerät - besonders im Bereich der "Peripherie"(61) - hergestellte Sound war für Tonbandamateure wie die Homerecordisten einfach unerreichbar. Eine 'allgemeingültige' Soundqualität schien nur durch teures Studioequipment realisierbar zu sein.
Doch Produzenten wie z.B. Conny Plank aus Deutschland oder der von ihm bewunderte Jamaicaner Lee Perry gingen noch Mitte der 70er Jahre ziemlich unkonventionelle Wege, um ihren persönlichen Sound zu kreieren:

Conny Plank, der seine selbstständige Tonmeisterarbeit mit elektronischen Musikgruppen wie KRAFTWERK begann, setzte vor allem auf Experimentierfreudigkeit und Einfühlungsvermögen beim klangtechnischen Umgang mit der zu produzierenden Musik. Ist die musikalische Substanz stark genug und stimmt das 'Feeling' bei der Aufnahmesession zwischen Musikern und Aufnahmeteam, so Plank(62), spielt die technische Vollkommenheit der Studioausrüstung eine eher untergeordnete Rolle. Schon ein einfaches Mischpult stellt "höllisch interessantes Instrumentarium"(63) dar, weil die Variationen dieses Gerätes immens sind. "Was die Peripherie betrifft, spielt man mit dem, was man hat. Wenn man wenige Geräte zur Auswahl hat, dann versucht man, mit dem Wenigen auszukommen. Und manchmal führt ein reduziertes Equipment zu einem sehr besonderen Ergebnis."(64)

Lee Perrys Studioausrüstung in den 70er Jahren könnte man mit der eines Homerecordisten Anfang der 80er Jahre vergleichen:
Vierspur-Maschine, billiges, selbstgebautes Mischpult sowie vergleichsweise schlechte Hall- und Echogeräte. Perry erreichte den Charme und die Unverwechselbarkeit des von ihm produzierten Sounds durch "ein lockeres, anscheinend unsystematisches Vorgehen bei der Aufnahme selbst"(65), durch "oftmals wirklich unorthodoxe Overdubs"(66) sowie durch "ein geradezu phantastisches Rhythmusgefühl"(67) und der virtuosen Handhabung von Echo- und Hallgerät beim Abmischen. Er hatte den Mut, immer etwas Neues, Ungewöhnliches auszuprobieren (z.B. seine Spielereien mit dem "Phaser"(68) oder das Verlangsamen einzelner Tonbandspuren).(69)

"Perry ist der Ausnahmefall eines Produzenten, der Standards, wie sie von anderen gewertet werden, einfach ignoriert. Ihm kommt es nicht darauf an, sauber klingende Aufnahmen zu Wege zu bringen, die sich auch im Autoradio noch gut anhören müssen, damit sie überhaupt erst auf Vinyl gepreßt werden; Hauptsache, die Musik ist gut, der Groove stimmt, ob sich das nun verwaschen anhört, ob in Mono (wie die meisten seiner Produktionen) oder in Stereo."(70)

Für viele der von der professionellen Technik beeindruckten und auch geblendeten Homerecordisten, die nur zu gerne ihre eigenen Aufnahmen mit anderen, ungleich aufwendigeren Produktionen messen wollen, stellen m.E. solche Produzenten wie etwa Conny Plank oder Lee Perry Beispiele dar, die ihnen aufzeigen können, worauf es letztendlich wirklich ankommt: Auf die Güte der Musik, auf die 'Persönlichkeit' des musikalischen Ausdrucks sowie auf Phantasie und Gefühl bei der technischen Umsetzung auf Tonträger.


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